Die Wahl, bei der der Pass egal ist

Wie groß wäre wohl der Aufschrei, würde der Innenminister verlautbaren, dass alle Stimmen aus der Steiermark ungültig sind? – Ein Kommentar von Maximilian Belschner

Wie allseits bekannt sein dürfte, findet am 15. Oktober die Wahl zum Nationalrat statt. Laut Bundesinnenministerium sind fast 6,4 Millionen Menschen dazu aufgerufen, ihr Kreuz zu machen. Doch die Bevölkerungszahl Österreichs liegt bei knapp 8,7 Millionen Menschen. Das ergibt 2,3 Millionen Menschen, die in Österreich nicht erlaubt sind, an der Wahl teilzunehmen. 1,3 Millionen davon haben das Alter zur Wahlberechtigung noch nicht erreicht, sind also unter 16 Jahre alt. Das ergibt immer noch eine Million Menschen, die nicht wählen gehen dürfen, obwohl sie in Österreich leben. Sie sind ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, sie arbeiten und leben hier, gehen hier zur Schule, kaufen hier ein und zahlen ihre Steuern. Doch wählen dürfen sie nicht.

Würden diese eine Million Menschen alle in einem Bundesland leben, wäre es das viertgrößte Bundesland gemessen an der Anzahl der Wahlberechtigten. Nur Wien, Ober- und Niederösterreich hätten mehr Wahlberechtigte als ein Bundesland voller ausländischer Wahlberechtigter. Es hätte in etwa so viele Wahlberechtigte wie die Steiermark. Wie groß wäre wohl der Aufschrei, würde der Innenminister verlautbaren, dass alle Stimmen aus der Steiermark ungültig sind? Man könnte es sich vorstellen. Die Kommentare der inländischen Presse würden von “Willkür” bis “Demokratieabbau” variieren. “Wo ist die Gerechtigkeit, wenn eine Million Steuern zahlen, aber nicht mitentscheiden können, wofür die Steuern ausgegeben werden?”, wäre ein vorstellbarer Kommentar in der Presse. Internationale Wahlbeobachter würden Österreich dafür rügen, so viele Menschen willkürlich von der Wahl auszuschließen. Wo also ist der Aufschrei, wenn eine Million AusländerInnen nicht wählen dürfen?

Pass Egal-Plakatkampagne von SOS Mitmensch

Bereits in einem früheren Beitrag erläuterte ich, wie diskriminierend es sich anfühlt, bei demokratischen Prozessen nicht gehört zu werden. Einige Menschen gehen nun einen Schritt weiter: Um den ausländischen Bürgerinnen und Bürgern wenigstens ein wenig Gehör zu verschaffen und ihnen das Gefühl zu geben, ihre Stimme wäre im demokratischen Prozess etwas wert, gibt es vor jeder großen Wahl in Österreich eine Aktion der Hilfsorganisation “SOS Mitmensch”. Sie veranstaltet die sogenannte “Pass-Egal Wahl”, bei der jeder teilnehmen kann. Jede Stimme zählt, egal ob sie von einem Österreicher, einer Afghanin oder einem Isländer kommt.

Auch vor dieser vorgezogenen Nationalratswahl gibt es wieder eine Pass-Egal Wahl. Sie wird am 10. Oktober stattfinden und ist zum allerersten Mal nicht auf Wien beschränkt. Auch in anderen Landeshauptstädten, wie Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck oder Klagenfurt werden Menschen wählen gehen dürfen. Die genauen Wahlzeiten und Wahlorte sind problemlos auf der Website von SOS Mitmensch zu finden.

Doch die “Pass-Egal Wahl” kann nur ein erster Schritt in Richtung eines inklusiveren Wahlrechts sein. Eine Wahlreform, dass ausländische StaatsbürgerInnen bei allen Wahlen den Einheimischen gleichgestellt werden, wird es wohl in naher und ferner Zukunft nicht geben. Dazu bräuchte es eine Verfassungsänderung, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert, sowie vermutlich eine Volksabstimmung. In Zeiten, in denen ÖVP und FPÖ ihren gesamten Wahlkampf auf der Diskriminierung von Ausländern basieren, scheint das mehr als unrealistisch.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine Reform des Einbürgerungsprozesses. Heute hat Österreich eines der restriktivsten Einbürgerungsgesetze der Welt. Neben einem zehnjährigen, durchgehenden Aufenthalt in Österreich muss ein Einbürgerungstest bestanden werden und eine gewisse Einkommensschwelle überschritten sein. Doch diese Einkommensschwelle ist bewusst so hoch gewählt, dass sie fast niemand erfüllen kann. Würden dieselben Kriterien für geborene Österreicher gelten, würden zwei Drittel der Bevölkerung abrupt ihre österreichische Staatsbürgerschaft verlieren. Für eine Reform der Einbürgerungsgesetze braucht es weder eine Verfassungsänderung, noch eine Volksabstimmung. Es genügt eine einfache Mehrheit, welche allerdings ohne ÖVP oder FPÖ auskommen müsste. Diese beiden Parteien haben bereits 2004 erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und den Antrag der Grünen, das “Wahlrecht für alle” einzuführen, zu Fall gebracht und für verfassungswidrig erklärt. Sie haben in der Vergangenheit bereits mehr als deutlich gemacht, dass es in Österreich Demokratie und Mitspracherechte nur für österreichische Staatsbürger geben solle. Also kann nur eine Koalition ohne ÖVP oder FPÖ eine Reform des Einbürgerungsgesetzes auf den Weg bringen. Daran sollten die österreichischen Wähler denken, wenn sie am 15. Oktober ihr Kreuz machen.

Titelbild: Pass Egal Wahl 2015 (SOS Mitmensch/Dutkowski)

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