Bidok-Fachtagung in Innsbruck widmete sich der gegenwärtigen Situation von Menschen mit Behinderung in Beschäftigung und Arbeitswelt – Von Hannah Wahl

Eine junge Frau, sie trägt mittellanges blondes Haar, sitzt an einem großen Tisch. Nach und nach setzen sich Personen dazu. Dann stellt man sich gegenseitig vor. Sie heiße Nathalie und arbeite 20 Stunden die Woche als Bürofachkraft in der Personalverrechnung. Die Arbeit dort mache sie gern, die Chefs seien verständnisvoll und auch das Verhältnis zu ihren ArbeitskollegInnen stimme. Das war aber nicht immer so. Mit ihrer Tätigkeit hatte Nathalie zwar auch bei ihrem früheren Arbeitgeber kein Problem, doch durch fehlende Akzeptanz der KollegInnen fühlte sie sich unwohl. Bis sie eine neue Arbeitsstelle fand, musste sie über 200 Bewerbungen schreiben. Oft wurde sie, trotz Qualifikationen und gutem Arbeitszeugnis nicht einmal eingeladen. Kam es dann doch zu einem Vorstellungsgespräch, wirkten viele potentielle Arbeitgeber verunsichert. So wollte eine Steuerberaterin Nathalie nicht anstellen, da aufgrund ihrer Behinderung für sie nach vier Jahren ein besonderer Kündigungsschutz besteht. Nathalie erklärt uns, sie habe seit der Geburt eine Sehbeeinträchtigung, womit sie nur 16 bis 20 Prozent sehe: „Wenn ihr zum Augenarzt geht und vor der Tafel mit den größten Buchstaben steht, dann sehe ich diese Buchstaben erst aus ca. eineinhalb Metern Entfernung.“ Ein sogenannter Balkenmangel, das Fehlen der Verbindung zwischen rechter und linker Gehirnhälfte, macht es für Nathalie schwerer sich zu konzentrieren oder sich Dinge zu merken. „Seit 2014 habe ich chronische Schmerzen – fast überall am Körper. Aber damit muss ich jetzt leben.“, fügt die 32-jährige hinzu. All das hindert sie jedoch nicht an der Ausübung ihres Jobs in der Personalverrechnung. Sie zeigt uns Fotos von ihrem Arbeitsplatz: Ein Bildschirm mit Schwenkarm, eine Lupe und eine Leselampe mit einstellbaren Kalt- bzw. Wärmestufen helfen ihr dabei. „Viele Dienstgeber wissen nicht, dass sie für mich Förderungen bekommen“, führt Nathalie weiter aus. Für die Kosten ihrer Hilfsmittel kamen das Sozialministeriumservice und die Pensionsversicherungsanstalt auf. Außerdem muss ihr Dienstgeber für Nathalie nicht alle Lohnabgaben bezahlen. Als die Zeit um ist, bedanken sich alle bei Nathalie für ihre Offenheit. Das Erzählcafé, in dem Nathalie und andere Menschen mit Behinderung ihre Arbeits- und Lebensgeschichten teilen, ist an diesem Tag Teil der Fachtagung „Recht auf Arbeit heute. Zur gegenwärtigen Situation von Menschen mit Behinderungen in Beschäftigung und Arbeitswelt.“

Innsbrucker Projekt „bidok“ feiert Geburtstag

Anlass zur Tagung am 19. Oktober 2017 war der 20. Geburtstag des Projekts „bidok – behinderung inklusion dokumentation“, das am Institut für Erziehungswissenschaften an der Uni Innsbruck entstand. Dieses hat es sich zur Aufgabe gemacht, Materialen zum Thema Integration und Inklusion von Menschen mit Behinderung kostenlos und zur Gänze zugänglich zu machen: „Was hier produziert wird, ist nicht geistiges Eigentum der Universität, sondern gehört allen und soll für alle Nutzen haben“, so Volker Schönwiese, Projektleiter und Prof. i. R. des Institutes, zum Anliegen von bidok. Neben der digitalen Volltextbibliothek initiiert bidok auch aktiv Forschungsprojekte, wie zur „Geschichte der Selbstbestimmt Leben Bewegung in Österreich“, das Anfang des Jahres präsentiert wurde. Auch zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt will bidok durch thematische Informations- und Wissensvermittlung beitragen und über die aktuelle Situation aufklären. Dass das auch bitter notwendig ist, wird an diesem Tag besonders deutlich.

Inklusion – auch am Arbeitsmarkt

Menschen mit Behinderung sind besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Vielen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt bereits in jungen Jahren durch die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit dauerhaft versperrt. Damit erhält man nicht nur keine Unterstützung vom AMS mehr, sondern auch ein sicheres Ticket in die Altersarmut. Immer noch wird Arbeit, die von Menschen mit Behinderung geleistet wird, als Beschäftigungstherapie verkauft. Statt Entlohnung erhält man in den Werkstätten ein Taschengeld von rund 65 Euro pro Monat. Da dabei offiziell gar kein Arbeitsverhältnis besteht, sind die dort arbeitenden Menschen weder kranken- noch pensionsversichert. Daran änderte auch die UN-Behindertenrechtskonvention bislang nichts, deren konsequente Umsetzung Österreich bis heute geschickt umgeht.

“Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.” (Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention)

Damit Menschen mit Behinderung selbstbestimmt leben, aber auch einer möglichst existenzsichernden Arbeit nachgehen können, benötigen sie oft Persönliche Arbeitsassistenz. Deren Aufgabe besteht jedoch keineswegs in inhaltlicher Hilfestellung bei der Arbeit selbst, sondern vor allem beim Suchen und Sicherstellen einer geeigneten Arbeitsstelle. Kommt es im Arbeitsalltag, aufgrund von Ängsten oder Fehlinformationen zu unangenehmen Situationen mit KollegInnen und/oder Vorgesetzten, kann die Persönliche Arbeitsassistenz Aufklärung leisten und eine gemeinsamen Schlichtung initiieren.

Obwohl durch Unterstützung und Zuschüsse Anreize für Unternehmen geschaffen wurden, um ihrer gesellschaftlichen Pflicht nachzukommen und auf je 25 Angestellte einen Menschen mit Behinderung einzustellen, kaufen sich viele stattdessen lieber frei. Von Seiten der Unternehmen wird diese Ausgleichstaxe meist als Strafe deklariert. Defacto fließt die Ausgleichstaxe zur Gänze in einen Fond zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung.

Den 20. Geburtstag hat bidok zum Anlass genommen, um auf die Situation von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt hinzuweisen und mit Vorträgen, Erzählcafé und Podiumsdiskussion klar gemacht, dass Inklusion eben auch gleichberechtigte Teilhabe an (Aus)-Bildung, Fortbildung und Arbeitswelt bedeutet.

Dieser Beitrag entstand mit finanzieller Unterstützung unserer AktivistInnen, HerausgeberInnen und MäzenInnen.
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Fotos: Hannah Wahl/Unsere Zeitung

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