Wer sich zur Zeit im linken Lager umschaut sieht, dass die Verunsicherung über die richtige Haltung zur Welt noch schwieriger geworden ist also sonst.
Sollen wir den Staat kritisieren, weil er zu zaghaft auf die Krise reagiert oder gegen den bereits erfolgten massiven Abbau von Rechten und Ausbau von Überwachung aufbegehren?
Sollen wir die Zeit und die Unfähigkeit des Staates nutzen um eigene Strukturen aufzubauen oder skandalisieren, wie selbstverständlich er Verantwortung auf freiwilliger Hilfe und Familie abschiebt während milliardenschwere Konzerne kaum Zeit haben zu fordern, bevor sie nicht schon von der Politik mit noch Milliarden überhäuft werden?
Wäre es nicht eine gute Zeit jetzt die unterdurchschnittlich schlechten Arbeitsbedingungen im Sozialbereich, Einzelhandel und der Logistikbranche durch Streiks auszunutzen oder sollen wir angesichts der COVID-19 Krise jetzt erst einmal warten? Aber kommt das Argument der armen KlientInnen nicht immer im Sozial- und Medizinbereich und es ist nicht immer so wahr wie irgendwie auch falsch?
Wie sehr hängt Freiheit (wie die des Überlebens) eigentlich von Einschränkung ab?
Und was ist das für eine komische Solidarität, als das sprichwörtliche Zusammenstehen, die derzeit darauf aufbaut sich möglichst zu meiden?
Was sich für manche sonst nur wie rhetorische Spielereien anhört, beschäftigt gerade sehr viele.
Denn je mehr man versucht es zu durchdringen, desto vertrackter scheint es zu werden
Die einfach Antwort ist: beide Seiten der Bedenken haben Recht. Was die Meisten wohl genau so beruhigt wie es sie beunruhigt – und da sind wir schon wieder in so einem Widerspruch.
Es gibt aber noch etwas anderes in der Welt des Marxismus, dem jenseits der Krise gerne vorgeworfen wird kaum mehr als rhetorische Spielerei zu sein: Die Dialektik.
Die derzeitige Zeit der Widersprüche könnte daher auch dafür etwas genutzt werden, sich nun dem zu widmen was manche sonst so meiden wie den Virus oder es sie mindestens so verwirrt wie die politische Bedeutung der aktuellen Ereignisse.
Wer sich schon immer mal gefragt, was diese seltsame Wort soll und was Leute damit machen, außer schlau daherreden: Sie beschäftigen sich z.B. mit eben jenen Widersprüchen. Und sie akzeptieren, dass die Welt widersprüchlich ist – präsentieren also nicht unbedingt immer nach kurzer Bedenkzeit, jene nette Lösung mit der man dann ein Thema abhaken kann. Sie drößeln die Widersprüche auf, statt sie zu eliminieren. Sie schauen sich all die Verbindungen in der Welt an, die eine Rolle spielen, warum es so vertrackt ist. Sie schauen sich die Bewegungen und Prozesse an, die dazu führen, dass viele Dinge die heute so sind, wie sie sind, früher aber mal anders waren und Zukunft wieder anders sein können oder wahrscheinlich so werden.
Kurzum: Sie betreiben die Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang.
Was sie also nicht tun (sollten) ist Widersprüche und Verwirrungen einfach vom Tisch zu wischen oder darauf hinzuweisen, dass man offensichtlich noch nicht die richtige Menge an Marx gelesen hat.
Wer also bisher an dem Punkt war, dass er oder sie sich dachte, diese Marxisten scheinen schon irgendwie auf dem richtigen Dampfer zu sein (auch wenn man natürlich noch nicht alles gelesen hat und realistischerweise auch die Marx-Engels-Werke niemals ganz lesen wird), aber bevor man sich jetzt in so etwas wie die Dialektik stürzt, will man erst einmal einen geerdeten Zugang zur Welt haben:
Gerade da, wo man sieht, dass es immer widersprüchlicher wird, wäre ein guter Zugang sich damit zu beschäftigen. Dialektik ist nicht Marxismus der Stufe Fünf, sondern das Werkzeug um zu verstehen wie die Welt funktioniert, besonders da wo sie sich der formalen Logik entzieht. Da wo Dinge gleichzeitig wahr und falsch sind. Da wo die Welt aus den Fugen gerät.
Also zum Beispiel: Jetzt.
Und wer das verwirrende Gefühl hat, dass doch irgendwie auf der Hand liegt, was in der Welt falsch läuft (wahr), aber je mehr man sich damit beschäftigt wie man es besser machen sollte es immer komplizierter wird (ebenfalls wahr), ohne dass das der Ursprungsgefühl weg geht, dass es eigentlich auf der Hand liegt (immer noch wahr):
Nun schon Berthold Brecht schrieb einmal über den Kommunismus:
Er ist das einfache, das schwer zu machen ist.
Also trotz dem Gebot der sozialer Distanz: Keine falsche Scheu.
Was machen wir nun also damit konkret:
Nun für wenn Geld und Zeit keine Rolle spielt, dann kann sich die volle Breiseite geben:
z.B. die Problemgeschichte der Dialektik von Hans Heinz Holz. 3.000 Seiten für 100 Euro wenn man WBG-Mitglied wird. Das aber nur für die Spezialisten, die jetzt schon meinen, ich würde hier Dinge verkürzt darstellen.
Wer den Komplex von Freiheit und Unterwerfung mal exemplarisch dargestellt sehen will, kann sich z.B. das aktuelle Werk von Alfred Noll über „Thomas Hobbes“ besorgen. 13€ und sehr zugänglich. Mag jetzt erst einmal etwas speziell wirken, aber die Wahrheit ist bekanntlich immer konkret (Lenin).
Wer mal wissen wollte wie man das in der Zeit der Arbeiterbewegung eigentlich den einfachen Arbeiten versucht das nahe zu bringen, der kann bei ZVAB und co. versuchen die „Grundzüge des dialektischen und historischen Materialismus“ von Victor Stern zu bekommen.
Wer nur mal kurz reinschnuppern will, kann sich mal den wohl am meisten gelesenen, auch auch sehr kompakten, Dialektik-Text aller Zeiten anschauen, bevor er oder sie erschreckend feststellt vom wem der ist: Über dialektischen und historischen Materialismus – und kann sich dann im Anschluss überlegen, ob man jetzt lieber damit angibt, dass man jetzt auch etwas Ahnung hat, aber verschweigen, dass man es ausgerechnet von Stalin hat oder eben gerade damit schockieren, dass man Stalin gelesen hat, aber besser verschweigen, dass es dann ausgerechnet die Einführung in die Dialektik war.
Oder man kann sich beim Online-Lesekreis der Wiener GO der Gesellschaft für Dialektische Philosophie anmelden.
Und der Autor weiß aus sicherer Quelle, dass man dort nicht nur ehrfürchtig den Texte lauschen soll, sondern, damit das auch fruchtbar wird, sich immer wieder überlegen sollten, wie bringt mich das in meinen Verständnis der Welt weiter. Auf welche Probleme bin ich gestoßen, bei denen ich hoffen kann, dass dieses Ungetüm Dialektik vielleicht helfen kann.
Den nur weil wir akzeptieren, dass Widersprüche existieren, heißt nicht, dass wir vor ihnen kapitulieren. Das wir nicht versuchen sollten sie für uns zu nutzen um die Welt zu einer besseren zu machen. Das wir nicht die Möglichkeit haben, durch die Nutzung dieses Verständnis dann diejenigen sind, welche als Sieger aus dieser Geschichte heraus kommen.
„In der Geschichte tritt die Bewegung in Gegensätzen erst recht hervor in allen kritischen Epochen der leitenden Völker. In solchen Momenten hat ein Volk nur die Wahl zwischen zwei Hörnern eines Dilemmas: entweder – oder!, und zwar ist die Frage immer ganz anders gestellt, als das politisierende Philisterium aller Zeiten sie gestellt wünscht.“ (Friedrich Engels)
Autor: GfdP-Vorstand (Gesellschaft für dialektische Philosophie)
Titelbild: Clueless Critical Theory Memes (Quelle: Gesellschaft für dialektische Philosophie auf facebook)
Bertolt Brecht schreibt sich Bertolt Brecht. Und er schreibt vom Kommunismus richtig, „… das Einfache, das …“, aber auch ansonsten sprachlich ziemlich schlampig und einer „Gesellschaft für dialektische Philosophie“ nicht ganz angemessen. Es sei denn man pflegt einen „nicht-dialektischen Widerspruch“ zwischen angestrebter Klarheit der Gedanken und ihrem schlechten sprachlichen Ausdruck.