Wie wir arbeiten bestimmt wesentlich, wie wir leben. Dass es sich dabei nicht nur um eine alte Weisheit handelt beweist Wolfgang G. Weber, Psychologe an der Universität Innsbruck, mit seinen Forschungen.
Im Gespräch mit Christian Kaserer
Sie haben eine Professur an der Universität Innsbruck für angewandte Psychologie und sind unter anderem spezialisiert auf Partizipationsforschung und organisationale Demokratie. Das ist ein immer noch eher selten beackertes Feld. Wie kommen Sie dazu?
Ich hatte bereits als Student relativ schnell für mich realisiert, dass ich nicht in die Psychotherapie oder die klinische Psychologe möchte, weil ich aufgrund eigener früher Arbeitserfahrungen das Gefühl hatte, dass viele psychische beziehungsweise gesellschaftliche Probleme ihre Ursachen wesentlich in der Arbeit haben. Das hat dann dazu geführt, dass ich an der Technischen Universität Berlin Arbeits- und Organisationspsychologie studiert habe. Dort gab es Professoren wie etwa Walter Volpert, die bekannt dafür waren, dass sie einer reinen Indienstnahme der Arbeits- und Organisationspsychologie für Top-Management und, wie man heute sagen würde, Shareholder-Zwecke sehr kritisch gegenüber standen. Ich habe mich dafür entschieden, weil ich einerseits wissen wollte, was kann man in der Arbeitswelt tun und andererseits in der Forschung dazu beitragen, dass viel psychisches Leiden und gesellschaftliche Probleme zumindest eingeschränkt werden. Ich habe bei dem Institut viel über die damalige Humanisierung über das Arbeitsleben mitbekommen. Damals war das ein riesiges Forschungsprogramm in Deutschland, das von der SPD und den Gewerkschaften stark unterstützt wurde. Einer meiner Professoren, Bernhard Wilpert, hatte damals auch eine Studie zu dem Themenkomplex durchgeführt unter dem Titel Industrial Democracy in Europe. Als ich dann wissenschaftlicher Mitarbeiter in Berlin und später Zürich wurde, da wurde mir das Thema immer wichtiger. Man muss zu anderen Arbeits-, Betriebs- und Konzernstrukturen kommen. Das kann nur mit mehr Mitbestimmung gelingen und als Psychologe will ich meinen Beitrag zumindest in der Forschung dazu leisten, indem ich untersuche, wie das möglich sein kann, damit es eben nicht nur den Unternehmen, sondern in erster Linie den abhängig Beschäftigten und der Gesellschaft zugute kommt.
Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Zuallererst können Sie sich mal viele arbeitsbezogene Stressfaktoren vorstellen. Das Thema hat noch, ich betone noch, keine breite gesellschaftliche Relevanz und da hat man dann natürlich mit enormen Schwierigkeiten zu rechnen. Man bekommt weniger Unterstützung, Anträge werden abgelehnt und man gehört zu einer Minderheit in der Forschung, weil man nicht die Effizienz und Leistungssteigerung betont, sondern erklärtermaßen die Beschäftigten aber auch die demokratisch-republikanische Gesellschaft unterstützen möchte und das, wenn es nötig ist, auch gegen zwar eine kleine aber dafür ökonomisch und politisch enorm mächtige Gruppe. Zu den Vorteilen zählt jedoch, dass man aufgrund der immer noch kleinen Größe der daran forschenden Menschen recht schnell und gut international vernetzt ist.
Als Germanist streife ich die Psychologie bestenfalls peripher, wie kann man sich den Forschungsalltag vorstellen? Als Laie würde ich vermuten, sie machen qualitative und quantitative Untersuchungen mit Fragebögen und Interviews?
Diese Vorstellung ist richtig. Wir arbeiten vor allem mit Fragebögen, weil wir dadurch Erkenntnisse ganz gut verallgemeinern können. So bekommen wir gute Einblicke in demokratische aber auch hierarchische Unternehmen, die wir dann vergleichen können. So lassen sich vorsichtige allgemeine Schlüsse ziehen. Es ist gar nicht einfach in den Unternehmen unser Anliegen so zu schildern, dass sowohl das dortige Management und natürlich die dort arbeitenden weiteren Menschen bereit sind, sich bis zu 45 Minuten Zeit zu nehmen, um unsere Fragen zu beantworten. Wir gehen also immer persönlich hin und bieten auch an, eine Ergebnisrückmeldung zu geben. Wir haben immer wieder auch Fallstudien mit Interviews gemacht und waren vor Ort bei Arbeitsplätzen und haben live skizziert, was da eigentlich passiert und wie das psychologisch zu bewerten ist.
Wonach suchen Sie? Was sind die Fragen, die Sie stellen?
Zunächst versuchen wir das System der Mit- oder gar Selbstbestimmung zu rekonstruieren. Also es geht um das objektiv rechtlich festgelegte System. Das ist zum Beispiel wichtig bei Genossenschaften. Das ist die erste Datengrundlage. Dann folgen Expertengespräche, meistens mit Führungspersonen, wenn es denn welche gibt, welche die Unternehmen gut kennen. Das kontrastieren wir dann aber mit der tatsächlich praktizierten demokratisch Mitentscheidung der Beschäftigen, indem wir versuchen jeden einzelnen oder jedenfalls eine repräsentative Menge im Unternehmen zu befragen. Da haben wir einen ganz gut funktionierenden Fragebogen entwickelt, der auch international eingesetzt wird und wo man genau sieht, wer ist an welchen Entscheidungen in welchem Ausmaß beteiligt. Das zeigt sowohl den Soll- und Ist-Zustand von demokratischen Unternehmen auf. Es geht aber weiter. Wir sind ja Psychologen – wir wissen zwar, dass demokratische Mitbestimmung positive Auswirkungen hat, aber das wollen wir natürlich auch nachweisen. Im Fragebogen und in Interviews fragen wir zunächst mal nach so Dingen wie etwa Arbeitszufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit, ob man die Arbeit in dem speziellen Unternehmen motiviert machen kann oder ob man demotiviert wird. Welche Arbeitsbelastungen gibt es? Gibt es unangenehme Stressfaktoren? Wir fragen nach dem Betriebsklima, wir nennen das nach einem bestimmten Ansatz der Moralpsychologie, der sich auf Kant und dann viel später Kohlberg bezieht, das soziomoralische Klima im Unternehmen. Das sind Aspekte im Betriebsklima die wichtig sind für die Förderung von gegenseitiger Solidarität, also dem gegenseitigen Helfen im Unternehmen. Das sind Fragen wie, ob man offen im Unternehmen über Dinge sprechen kann oder ob man sich fürchten muss, dass einem da Nachteile drohen. Haben die Menschen den Eindruck anerkannt zu werden untereinander aber auch gegenüber Führungspersonen? Herrscht im Unternehmen ein Klima, dass man Probleme gegenseitig über Hierarchien hinweg diskutieren und zusammen an Lösungen arbeiten kann? Das alles meint das soziomoralische Klima. Das bringen wir in Zusammenhang, indem wir das gesamte Klima untersuchen und dann aber auch einzelne Personen fragen, was sie alles so erlebt haben an prosozialem Handeln und Solidarität am Arbeitsplatz. Ein weiterer ganz wichtig Bereich ist, dass wir uns fragen, ob in den Unternehmen, wo es ein gutes Klima gibt und wo die Mitbestimmung stark ausgebaut ist, ob es sich dort so auswirkt, dass die Beschäftigten sich stärker in der Gesellschaft engagieren, indem sie etwas Prosoziales tun, was wie Demokratie unterstützt und gegebenenfalls verteidigt.
Der Eindruck, den ich bei den von mir besuchten Betrieben gewonnen habe ist, dass diese Menschen in der Regel hochpolitisiert und in einem hohen Maße motiviert und solidarisch sind. Zeigt sich bei Ihren Untersuchungen eine solche Tendenz?
Wir haben zum Zusammenhang von betrieblicher Demokratie und gesellschaftlichem Engagement eine große Metastudie gemacht. Das ist ein Projekt, das mehrere Jahre gedauert hat, wo wir viele vorliegende Studien nochmals statistisch analysierten und wir konnten statistisch signifikante Effekte feststellen, dass es klare Zusammenhänge gibt darin, dass je stärker die individuelle Beteiligung an demokratischen Entscheidungen im Unternehmen ist, desto stärker die Tendenz im Unternehmen ist, sich prosozial zu verhalten und desto stärker auch die Tendenz ist, sich gesellschaftlich für humanistische Ziele zu engagieren und die Demokratie etwa durch Demonstrationsteilnahme zu verteidigen und zu stärken. Das ist statistisch ausgedrückt ein mäßiger aber ein bedeutsamer Effekt. Manche Effekte sind sogar noch höher, nämlich der Motivationseffekt, also dass man intrinsisch motiviert ist, für das Unternehmen zu arbeiten. Einer der stärksten Effekte war sogar die Bindung an solche Unternehmen. Da unterscheiden sich demokratische Unternehmen von hierarchisch bis hin zu autoritär geführten Unternehmen sehr stark. Das zeigt uns diese Metaanalyse, aber auch unsere eigenen Studien.
Das deckt sich auch sehr mit meinen Beobachtungen. Ich habe keine Menschen getroffen bei meinen Recherchen die meinten, sie würden wieder in ein hierarchisches Unternehmen zurückkehren wollen.
Das freut mich zu hören. Das ist auch genau das Thema, welches wir in Zukunft angehen wollen. Da suchen wir gezielt nach Menschen, die zunächst in hierarchischen Betrieben gearbeitet haben, dann aber in hochpartizipativen oder sogar demokratischen Unternehmen eingestiegen sind. Diese wollen wir über drei Jahre hinweg begleiten und untersuchen, was sich für diese Menschen ändert. Ein spannendes Projekt, das uns aber schon von einem Gutachter eines potenziellen Förderers brachial und geradezu feindlich gesinnt abgelehnt wurde.
Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Auch mir wurden mehrere Anträge für das vorliegende Projekte rigoros abgelehnt und ich hörte immer wieder von Menschen, mit denen ich gesprochen habe, dass sie ihre Anträge bewusst schwammig formulieren, um diesen Problemen auszuweichen.
Das ist ja die Tragödie. Die sogenannte Unabhängigkeit der Forschung gerät immer mehr zur Farce. Immer mehr Wissenschaftler müssen sich einer Selbstzensur unterlegen, um überhaupt forschen zu können, da ihre Forschung zwar eigentlich wichtig, aber nicht mehr in den aktuellen Trend passt. Crouch beschreibt das in seinem Buch Postdemokratie sehr genau. Wir Forscher kommen da natürlich in ein moralisches Dilemma, ob wir unsere Forschung bewusst ungenau machen sollen und damit aber die Ergebnisse für die Gesellschaft abschwächen. Als Wissenschaftler und Humanist ist mir das geradezu unerträglich.
Aber zurück zum Thema: Lassen sich in Ihren Studien Rückschlüsse ziehen auf Unterschiede in den jeweiligen Ausprägungen partizipativer Formen der Betriebsführung?
Absolut! Es sind sogar große Unterschiede. Wir sind der Einschätzung, dass jeder ernsthafte Schritt in Richtung Mitbestimmung zunächst mal gut ist, solange es keine Pseudo-Mitbestimmung ist. Jeder Schritt muss also schriftlich festgelegt werden, welche Möglichkeiten der Partizipation und Transparenz es für die Mitarbeiter gibt. Die unterste Stufe sind die sogenannten Sozialen-Partnerschafts-Unternehmen, wo eben eine gewisse Transparenz und Mitbestimmung zumindest auf niedrigem Niveau herrscht. Demokratische Mitbestimmung gibt es nicht, aber eine Form der Deliberation, wie Politikwissenschaftler sagen würden. Das ist schon ein großer Schritt und die Menschen sind motivierter und die Bindung wird stärker. Auch der Effekt, dass Menschen mehr für die Gesellschaft und die Kultur tun wollen, tritt da bereits begrenzt ein. Es kommt aber auch sehr darauf an, ob an solchen Deliberationsformen viele Beschäftige beteiligt sind oder nur wenige gewählte Repräsentanten. Und da kommt es in den Fällen wo es gewählte Vertreter gibt noch darauf an, ob die es schaffen, praktisch das, was in solchen Gremien geplant, besprochen und entschieden wird, wieder zurück zu vermitteln und die Interessen ihrer Wählenden einzubauen oder nicht. Wir können zeigen, dass je mehr die Menschen einbezogen sind, desto stärker die vorhin schon genannten positiven Effekte sind. Das ist natürlich ein Problem für extrem riesige Unternehmen, wie etwa Mondragon. Rein basisdemokratisch können die einfach nicht funktionieren, deshalb muss man da andere Ideen entwickeln. Unser Vorschlag ist da solche repräsentativen Formen von Mitbestimmung über taktische und auch unternehmensstrategische Fragen zu koppeln mit direkter Mitbestimmung auf der Ebene von Arbeitsgruppen und Abteilungen. Das klappt ganz gut.
Dario Azzellini, den ich für das Buch interviewt habe, hat mir im Zusammenhang mit Mondragon als ein Beispiel seine Sorge mitgeteilt, dass die betriebliche Mitbestimmung immer häufiger zu einem Businessmodell verkommt.
So scheint es leider auch zu sein. Ich muss dazu sagen, dass wir gerade einen Forschungsüberblick durchführen zu qualitativen Studien, wo wir uns auch Mondragon genauer anschauen. Zwar stimmt es, wenn man sich die Entwicklung des Genossenschaftskonzerns ansieht, dass viel wichtige existenzielle Entscheidungen vergleichsweise zentralisiert wurden indem das Top-Management bedauerlicherweise viel mehr Macht bekommen hat, aber andererseits muss man sagen, dass viele Grundsatzentscheidungen bei einem Repräsentativorgan liegen. Der Konzern ist also in der Struktur nicht absolut identisch mit Siemens oder Deutsche Bank. Der Konzern ist viel weniger korrupt und viel demokratischer, als einige bekannte kapitalistische Konzerne, das muss man mal festhalten. Überdies ist anzumerken, dass der Konzern selbst zwar sehr zentralisiert ist, aber die einzelnen Genossenschaften, die Teil von Mondragon sind, muss man sich ebenso ansehen. Da kann man gerade auf Fallstudienebene sagen, dass einige der Genossenschaften immer noch sehr demokratisch funktionieren. Klar, sie haben einige Entscheidungen eine Ebene höher gelegt, aber viele wichtige Dinge werden immer noch demokratisch und partizipativ in den einzelnen Genossenschaften geregelt.
Es mag eine naive Frage sein, aber wer interessiert sich für Ihre Studien?
(lacht) Gute Frage! Zum Beispiel die Katholische Sozialakademie Österreichs und bestimmte Gewerkschaftsfunktionäre etwa. Auch politische Parteien in Deutschland und Österreich etwa, die betriebliche Mitbestimmung im Programm haben, auch wenn es nicht mehr allzu viele sind, aber es gibt welche. Natürlich auch die Gemeinwohlökonomie. Und natürlich die weltweiten Forschungsnetzwerke, in die wir eingebunden sind. So hat man mir jüngst angeboten, ohne mich darum zu bemühen, dass ich für ein internationales Periodikum ein Heft zu dem Thema machen soll. Dass die Metastudie etwa in Applied Psychologie, einem sehr bekannten und hochwertigem Magazin mit 60 Seiten erschienen ist, spricht natürlich auch dafür, dass gerade die Forschung sich für unsere Studien interessiert. Die Zivilgesellschaft ist bei unseren Interessenten viel stärker vertreten, als Personen aus der offiziellen Politik – leider. Man kann nur hoffen, dass es diesen zivilgesellschaftlichen Projekten gelingt, diese Themen wieder populär zu machen, damit auch die Politik die Forschung wieder intensiver unterstützt, wie es früher der Fall war, etwa in Österreich Anfang der 2000er Jahre durch das NODE-Programm, also New Orientations for Democracy in Europe, welches leider nicht fortgeführt wurde.
Sie haben nun ja doch viele Jahre Erfahrung in diesem Thema. Stellen Sie eine Veränderung fest? Sehen Betriebe, die demokratisiert sind, anders aus als vor 20 Jahren?
Die Unternehmen sind nicht mehr dieselben. Ich habe in den frühen 80er Jahren mit einer ersten Studie in Berlin über kleine sehr basisdemokratische Unternehmen angefangen. Die heutigen demokratischen Unternehmen sind in der Regel anders. Der Unterschied ist zum einen, dass ganz deutlich Bemühungen um eine Professionalisierung eingetreten sind. Man hat nicht mehr nur das Ziel was sozial nützliches zu machen und die Gesellschaft zu verändern, sondern man orientiert sich viel stärker an einem nützlichen Produkt, vielleicht ökosozial, aber man hat genauso den Ansprach, das technisch und arbeitsorganisatorisch sehr gut zu machen. Das hat den einfachen Grund, dass man sich einem Druck vom internationalen Markt ausgesetzt sieht. Das hat sich wirklich deutlich geändert. Ich habe auch den Eindruck, dass der Teil der Unternehmen, die High-Tech einsetzen oder sogar herstellen, dass der Teil viel größer geworden ist in den vergangenen Jahren. Außerdem: Es gab früher schon Kollektive, die im sozialen und medizinischen Bereich darum bestrebt waren, partizipativ zu sein. Aber heute haben wir, und das ist für Deutschland zum Beispiel auch belegt, einen Trend hin zu kollektiven genossenschaftlichen Pflegediensten, Altenbetreuung und Krankenbetreuung. Ausgelöst wurde das unter anderem durch eine Bewegung aus den Niederlanden. Dieser Trend macht auch deutlich, dass so mit nicht viel höheren Kosten eine humane und hochwertige Pflege möglich ist, im Gegensatz zur neoliberalen Ökonomisierung des Sektors.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach ein ideales Rezept wie ein Unternehmen aufgebaut sein soll, um die von Ihnen genannten positiven Effekte am stärksten umzusetzen? Oder ist es davon abhängig, wie groß die Betriebe sind und in welcher Branche wir uns befinden?
Es ist eher kontextabhängig. Wenn man Aspekte wie die Größe des Unternehmens, die Branche, die internationalen Konkurrenten und so fort mit einbezieht, kann man durchaus idealtypische Ratschläge geben, aber ein perfektes Rezept gibt es so nicht. Ein Ratschlag, der vielleicht trivial ist: Wenn etwa ein Großunternehmen aus welchen Gründen auch immer auf Demokratie und soziale Verantwortung nach innen umstellt, dann ist sicher nicht der Ratschlag sofort basisdemokratisch zu sein. Kurzfristig und radikal gemacht, würde das Unternehmen zusammenbrechen. Da gibt es sogar historische Beispiele. Also zunächst einmal eher repräsentative Demokratie, dann allerdings massiv positive Formen der Organisationsentwicklungsmethoden zu nutzen. Kleinunternehmen oder Startups sollten das natürlich anders machen und da sind das vor allem praktische Ratschläge, wie bei den Banken aufzupassen, wenn es um Kredite geht, weil denen Gemeinwohl in der Regel egal ist, dass sie sich am Softwaremarkt genau umsehen, um nicht von Software abhängig zu werden, welche den Wartungsaufwand erhöht und Dinge dieser Art und natürlich regelmäßige partizipative Firmenversammlungen. Und natürlich, leider muss man das sagen, hat man sich am Markt zu orientieren, beziehungsweise sich eine sichere Nische zu suchen. Auch daran scheitern Unternehmen, wie zuletzt in Österreich leider das Modeunternehmen Göttin des Glücks, die sich zu einer Genossenschaft wandeln wollten, aber die blitzartigen Marktänderungen nicht mitmachen konnten. Ein Erfolgsrezept gibt es nie.
Generell gilt vor allem bei Gründungen, dass es im deutschsprachigen Raum gute Unternehmensberater gibt, die sich auf demokratische Unternehmen, Soziokratie und Zukunftswerkstätten spezialisiert haben und man erwägen sollte, solche Leute einzubeziehen. Ob sich die demokratischen Systeme in Europa erhalten oder ob die Demokratie nach und nach erodiert oder sie sogar zerstört wird hängt auch davon ab, ob es zu einer wenigstens gewissen Demokratisierung der Wirtschaft kommt. Wir wissen, dass Menschen bei der Arbeit sozialisiert werden. Dürfen sie mitentscheiden und Verantwortung für andere übernehmen? Wenn das immer weniger Menschen lernen und stattdessen wesentliche Entscheidungen immer mehr Vorständen, Top-Managern oder rücksichtslosen Shareholdern überlassen wird, dann wird die Demokratie in einigen Ländern zusammenbrechen, weil die Wirtschaft sich wieder einmal, wie schon in den ersten Republiken in Deutschland und Österreich, hin zu einer Diktatur entwickelt und ihre Menschen so sozialisiert.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts hat der Journalist Christian Kaserer über ein Jahr hinweg selbstverwaltete Betriebe und Projekte in Europa besucht und auch mit ExpertInnen gesprochen. Das daraus entstandene Buch „coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft“ erscheint voraussichtlich (so Corona will) im Mai 2020 beim Linzer guernica Verlag. Das Interview findet sich auch im Buch.
Link: Lokalaugenschein bei der selbstverwalteten griechischen Seifenmanufaktur VIO.ME (Christian Kaserer)
Titelbild: VIOME-Graffiti (Foto: Christian Kaserer)