Zum 2. Todestag von Christine Nöstlinger († 28. Juni 2018)
Von Kathrin Quatember
Als Christine Nöstlinger heute vor zwei Jahren starb, war ein Stück meiner Kindheit zu Ende. Und heute? Heute denke ich darüber nach, was seit ihrem Tod alles passiert ist. Politisch, aber auch in meinem eigenen Leben. Und es fühlt sich an, als wären diese zwei Jahre eine Ewigkeit gewesen. Ich frage mich oft, was sie wohl zu all dem gesagt hätte: Zu dieser Machtbesessenheit mancher und der Abgestumpftheit so vieler in diesem Land. Wäre sie verärgert gewesen? Anzunehmen. Hätte sie’s mit Humor genommen? Nun, wohl eher mit einem Maß an Zynismus, das in ihren Aussagen zu Lebzeiten manchmal mehr, manchmal weniger hervorblitzte. Sie hatte eine eigene Weise all das, was ihr auf die Nerven ging auch zu benennen. Ich liebte sie dafür.
So wie ich ihre Bücher bis heute liebe. Nichts an der Vertrautheit mit ihnen hat sich bei mir verändert. Ein bissl mehr Wehmut schleicht sich in meinen Kopf und in mein Herz, wenn ich über die teilweise schon arg vergilbten Buchrücken streiche. All die Liebe zu Christine Nöstlingers Büchern und all die Sorgfalt, mit denen ich versuche selbige zu behandeln, zu konservieren konnte nicht verhindern, dass der Buchkleber schon etwas bröselt. Manche Seiten haben an den Rändern schon diesen speziellen Farbton angenommen. Nicht wirklich gelb. Aber so ein bisschen staubig-muffig-gelbgrau sind sie. Und sie haben mittlerweile diesen unnachahmlichen Geruch nach Flohmarktbücherkiste. So eine Mischung aus Dachboden, Sonnenlicht und Staub.
Und ich schlage die Bücher nacheinander auf, lese ein paar Zeilen. Vielleicht kennt ihr das: Wenn man ein bestimmtes Lied hört, einen bestimmten Film sieht oder plötzlich einen vertrauten Geruch in der Nase hat. Und plötzlich kommen Gefühle und Erinnerungen an bestimmte Situationen und Emotionen hoch. Diese Bilder im Kopf, dieses Kitzeln in den Gedanken, wenn’s schöne Assoziationen sind. Mit diesem Kitzeln in den Gedanken stehe ich vor meinem Bücherregal, bin ein bisschen traurig und gleichzeitig froh und beruhigt. Weil sie alle noch da sind: Rosa Riedl, die feuerrote Friederike, Franz und Gretchen, das Austauschkind, die Wurschtelfrau, Kater Anatol und Christl und Cohn. Und vielleicht schimpfen sie mich grade ein wenig, weil ich traurig bin. Die Rosa Riedl schimpft und ist gleichzeitig sehr verständnisvoll. Anatol streicht mir um die Beine und schnurrt. Franz schaut fragend und Cohn beruhigt mich, während er seine Brille putzt. Gretchen legt mir den Arm um die Schulter und sagt „Ich vermisse sie auch“, während Christl meine Hand in ihrer hält und sagt „Nana, ich bin ja nur wo anders und nicht wirklich ganz weg.“
Als Christine Nöstlinger heute vor zwei Jahren starb, war ein Stück meiner Kindheit zu Ende. Und doch auch wieder nicht. Ihre Bücher haben mich zur Leserin gemacht. Sie beeinflussen bis heute, was ich lese und wie ich schreibe. Ihre Art, Kindern und Jugendlichen in die Seele zu schauen und ihnen – ohne jede Anbiederung – auf Augenhöhe zu begegnen…das ist, was ihre Bücher bis heute so politisch macht. Ihre Weise, Geschichten zu erzählen, die meistens nicht sehr schön aber gleichzeitig umso authentischer sind…das ist, was sie als Autorin stets glaubwürdig machte. Sie schrieb über Konflikte, die Kämpfe des Erwachsenwerdens, über Armut und kaputte Familien. Über Mobbing, Körperbilder und das Gefühl „anders“ zu sein. Nicht immer gab es ein „happy end“. Und mehr als einmal musste ich beim Lesen weinen, weil mich das Schicksal der Charaktere so berührte und ich mich zum Teil selbst in diesen Schicksalen und Kämpfen wiederfand.
Christine Nöstlinger fehlt. Sie fehlt mir. Und das sehr. Ich stehe vor meinem Bücherregal, blättere in den staubig-muffig-gelbgrauen Seiten und rieche den Flohmarktbücherkistenduft. Der Buchkleber bröselt und die Buchrücken krachen. Ich denke, ich bleib noch ein bisschen hier stehen, während die Gedanken kitzeln.
Katrin Quatember ist Historikerin, Öffentlichkeitsarbeiterin, Autorin und Aktivistin. Sie betreibt den Blog fireredfriederike.com, benannt nach Christine Nöstlingers „Feuerrote Friederike“.
Titelbild: Im Rahmen des SPÖ-Frauensalons las Christine Nöstlinger, eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen, am Sonntag, 4. März 2012 bei einer Matinee im Moviemento in Linz aus ihrem Buch „Iba de gaunz oamen Leit“ (Quelle: SPÖ OÖ/commons.wikimedia.org; Lizenz: CC BY 2.0)