Durch die COVID-19-Pandemie wurde sichtbar, unter welchen Bedingungen Erntehelfer/-innen, welche meist aus anderen Ländern nach Österreich kommen, oftmals arbeiten. Die Arbeitsbedingungen sind teils ausbeuterisch, Verstöße gegen das Arbeitsrecht sind an der Tagesordnung. Dabei müsste gerade jetzt während der COVID-19-Pandemie umso mehr auf Hygienestandards, Sicherheit, gute Arbeitsbedingungen etc. geachtet werden.
Von Stephanie Müller-Wipperfürth, Referentin der Abteilung Arbeitsbedingungen in der AK Oberösterreich
Ein Beispiel aus der Praxis
Der Tag von Andrei Oancea (Erntehelfer und nun Aktivist in der Sezonieri-Kampagne) begann morgens um 6 Uhr und endete meist um 22 Uhr, selten auch erst um 1 oder 2 Uhr in der Nacht. Insgesamt kam er so im Monat auf ca. 300 Arbeitsstunden, sein Lohn betrug 660 Euro. Von diesem wurden pro Woche 50 Euro für die Verpflegung (in Summe 200 Euro pro Monat), 30 Euro für Strom, 110 Euro Miete für das Zimmer pro Monat abgezogen. Nach allen Abzügen blieb ihm ein Lohn von ca. 300 bis 400 Euro. Das 16 Quadratmeter große Zimmer teilte er sich mit seinem Bruder, auch ihm wurden 110 Euro im Monat dafür abgezogen.
Während der Arbeit auf dem Feld gab es oftmals keine Toilette in der Nähe, und sie konnten sich nicht einmal die Hände waschen. Einen Lohnzettel bekam Andrei nicht, er musste häufig im Vorhinein einen weißen Zettel unterschreiben. Von einer Nachbarin erhielt er damals einen Folder von Sezonieri, wodurch er von seinen Rechten erfuhr. Jetzt ist er selbst Aktivist dieser Kampagne.
Grobe Verstöße gegen das Arbeitsrecht
Verstöße wie in dem oben beschriebenen Beispiel sind keine Seltenheit. Ein auftretender Missstand ist das systematische Umgehen des Mindestlohns, indem verschiedene Methoden, wie zum Beispiel falsche Arbeitszeitaufzeichnungen, angewandt werden. Manchmal besteht zwischen den tatsächlich geleisteten und den aufgezeichneten und somit bezahlten Arbeitsstunden eine Diskrepanz. Es gibt jedoch auch Fälle, wo die Arbeitszeitaufzeichnung intransparent oder gar nicht vorhanden ist. Im Nachhinein ist es für die Beschäftigten aber kaum mehr möglich, ihre real verrichteten Stunden nachzuweisen.
Die Arbeitstage bzw. -wochen sind für Erntehelfer/-innen sehr lange: Teilweise arbeiten diese bis zu 13 Stunden täglich und das an sechs oder sogar sieben Tagen pro Woche, wodurch Ruhetage fehlen. Bei Urlauben, Ausfällen oder sonstigen Abwesenheiten erhalten die Beschäftigten kein Geld. Bei ohnehin schon geringen Löhnen sind solche Lohnausfälle kaum leistbar. Laut Kollektivvertrag würden Erntehelfer/-innen bei einer Beschäftigung bis maximal drei Monate 1.270 Euro brutto verdienen. Bei einer Beschäftigung bis maximal sechs Monate liegt der Bruttolohn bei 1.360 Euro. In der Praxis kann es aber auch vorkommen, dass der Lohn darunter liegt.
Ein weiterer Missstand zeigt sich darin, dass Beschäftigten bei manchen Arbeitgeber/-innen Geld für Arbeitsmaterial oder die Unterbringung vom Lohn abgezogen wird. So müssen diese für ihr Zimmer, die Verpflegung, die benötigte Schutzkleidung und Sonnenschutz, manchmal auch Arbeitsgeräte zum Ernten selbst bezahlen – und nicht selten sehr hohe Beträge. Hinzu kommt, dass diese Unterkünfte oftmals sehr klein, unhygienisch oder nur spärlich ausgestattet sind.
Wie können die Arbeitsbedingungen für Erntehelfer/-innen nachhaltig verbessert werden?
Für Erntehelfer/-innen sollen Mindeststandards wie für alle anderen Arbeitnehmer/-innen gelten. Dazu zählt, dass die Arbeit für die Beschäftigten sicher sein muss, und für den Schutz der Gesundheit muss gesorgt werden. So muss beispielsweise die Versorgung mit Trinkwasser während des Arbeitstages gesichert sein und Arbeitskleidung, die einen angemessenen Schutz gegen Sonne und Regen bietet, vom Arbeitgeber bezahlt und zur Verfügung gestellt werden. Vor allem in den Sommermonaten, in denen mit teils großer Hitze zu rechnen ist, muss besonders auf die gesundheitlichen Auswirkungen geachtet werden. Außerdem muss die Gesundheit bestmöglich geschützt werden, und gleichzeitig sollen die Beschäftigten eine Entschädigung für das gesundheitliche Risiko (z. B. aktuell durch COVID-19) erhalten.
Des Weiteren muss den Erntehelfer/-innen während ihres Aufenthaltes eine angemessene Unterkunft mit Sanitäranlagen zur Verfügung stehen, die einem gewissen Standard entsprechen und die Einhaltung der Hygieneregeln, wie sie z. B. während der COVID-19-Pandemie besonders wichtig war, ermöglichen. Diese dürfen jedoch nicht überteuert sein und zu hohen Abzügen des ohnehin schon niedrigen Lohns führen. Bei der Unterbringung in sogenannten Massenunterkünften ist es zudem von hoher Wichtigkeit, dass Frauen besonders geschützt werden. Dies kann durch abschließbare Zimmer und getrennte Sanitäranlagen erreicht werden. Eine Anlaufstelle für Frauen, die von sexueller Belästigung betroffen sind, muss vorhanden sein.
Eine ebenso wichtige Grundlage für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist die Weitergabe von Informationen über die Rechte und Pflichten am Arbeitsplatz. Es muss den Beschäftigten möglich bzw. erlaubt sein, diese in der jeweiligen Muttersprache zu erhalten und zu wissen, welche Angebote von Beratungsstellen und Gewerkschaften es gibt (z. B. Informationen in unterschiedlichen Sprachen von Sezonieri, eine Kampagne von Sezonieri mit Videos in unterschiedlichen Sprachen, die PRO-GE, die sich mit diesem Thema beschäftigt, etc.). Diese Beratungsstellen müssen langfristig finanziert werden, damit der Bedarf gedeckt und bei Engpässen aufgestockt werden kann. Auch der Arbeitsvertrag muss in einer Sprache ausgehändigt werden, die die Erntehelfer/-innen verstehen.
Des Weiteren darf niemand zur Arbeit als Erntehelfer/-in gezwungen werden. Auch wenn es derzeit – bedingt durch die COVID-19-Pandemie – eine hohe Zahl an Arbeitslosen gibt, dürfen diese nicht zu dieser Arbeit verpflichtet werden. Ebenso verhält es sich bei Asylwerber/-innen. Auch wenn diese mittels einer Beschäftigungsbewilligung in der Saisonarbeit eingesetzt werden könnten, dürfen sie nicht dazu genötigt werden.
Schließlich müssen die geltenden Kollektivverträge eingehalten werden. Es darf nicht zu einer Aufweichung des geltenden Arbeitsrechts kommen. Eine Umgehung des Mindestlohns, unbezahlte Überstunden und falsche Arbeitszeitaufzeichnungen dürfen nicht an der Tagesordnung sein. Zusätzlich fordert der ÖGB eine Lohnerhöhung auf 1.700 Euro brutto. In jedem Fall darf der Lohn 1.550 Euro brutto nicht unterschreiten und muss somit über der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle liegen.
Internationale Beispiele für Ausbeutung
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Arbeit von Erntehelfer/-innen ist. Gleichzeitig wurde auch deutlich, unter welch schwierigen Bedingungen diese Arbeit verrichtet wird. Die Ausbeutung von Erntehelfer/-innen gab es aber durchaus schon vor COVID-19. Ein Beispiel ist die Ausbeutung von Arbeiter/-innen in Almeria (Andalusien, Spanien), wo im Jahr 2019 zahlreiche Missstände ans Licht kamen. 4.000 Arbeiter/-innen wohnen dort in Slums in selbstgebauten Unterkünften aus Müll, Plastikplanen und alten Matratzen. Fließendes Wasser oder Strom gibt es dort nicht. Neben ausbeuterischen Arbeitsbedingungen (kein Arbeitsvertrag, zu wenig Lohn, unbezahlte Überstunden etc.) müssen die Arbeiter/-innen auch gesundheitsschädliche Folgen in Kauf nehmen, da sie ohne entsprechende Schutzkleidung mit Pestiziden arbeiten müssen.
Ähnlich gestaltet sich die Situation in Kalabrien und Sizilien. Auch dort leben 2.500 Arbeiter/-innen (meist Asylwerber/-innen) in Slums in selbstgebauten Unterkünften aus Plastik, ohne Wasser, Strom oder richtigen Matratzen. Viele der Erntearbeiter/-innen haben bereits gesundheitliche Schäden erlitten: Schäden an Bandscheiben, Knochen und Muskeln, aber auch psychische Probleme aufgrund der Lebensweise, der schlechten Ernährung und fehlenden Perspektiven.
Auch in Deutschland legten Erntehelfer/-innen einen Tag die Arbeit nieder, weil sie gegen die schlechten Arbeitsbedingungen (z. B. schimmlige und abgelaufene Lebensmittel als Verpflegung, problematische Unterbringung) und die niedrigen Löhne protestieren wollten. Und in Niederösterreich machte eine Erntehelferin aus Rumänien auf ihre Lage aufmerksam, indem sie Fotos aus ihrer Unterkunft, unterstützt von der Sezonieri-Kampagne und der PRO-GE, veröffentlichte. Dort schliefen zehn Personen in einem kleinen Raum, an den Wänden war Schimmel und in dem Zimmer gab es Kakerlaken. Gearbeitet hatte sie zum Teil 14 Stunden pro Tag an sechs oder sieben Tagen die Woche, musste jedoch von dem niedrigen Lohn auch noch 150 Euro für die Unterbringung bezahlen. Die Obleute des Österreichischen Branchenverbandes für Obst und Gemüse (ÖBOG) verurteilten zwar die Zustände, sind aber auch der Ansicht, dass deswegen nicht eine gesamte Branche verurteilt werden dürfe.
So gibt es auch laut ÖGB positive Beispiele. Ein Landwirt aus Oberösterreich ließ beispielsweise alle Erntehelfer/-innen auf COVID-19 testen. Nach über 50 Gesprächen mit Saisonarbeiter/-innen aus der Ukraine und dem Kosovo zeigte sich, dass diese mit dem Arbeitsklima sehr zufrieden sind. Und: Sogar der Landwirt selbst unterstützt die Sezonieri-Kampagne.
Fazit: Es braucht sichere und faire Arbeitsbedingungen
Ein sehr großer Teil des in Almeria bzw. Kalabrien, aber auch in anderen Ländern geernteten Obstes und Gemüses wird nach Europa und somit auch nach Österreich exportiert. Die Lebensmittelindustrie wirbt mit immer niedrigeren Preisen für Lebensmittel. Damit diese überhaupt so billig angeboten werden können, müssen die Produktion und damit auch die Ernte möglichst wenig kosten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Lebensmittelindustrie – so wie sie derzeit gestaltet ist – auf Ausbeutung aufgebaut ist. Dass dabei der Wert der Lebensmittel verloren bzw. vergessen wird, ist ein weiterer negativer Aspekt. Die Rahmenbedingungen in der Erntearbeit sind so unattraktiv, dass Österreich auf Erntehelfer/-innen aus anderen Ländern angewiesen ist. Es darf jedoch nicht an der Tagesordnung sein, dass diese ausgebeutet werden und unter derart prekären Bedingungen arbeiten müssen. Es braucht sichere und faire Arbeitsbedingungen und eine entsprechende Entlohnung für alle Beschäftigten, egal aus welchem Land sie kommen.