Aktionismus von rechts

Trotz Medienaffinität und Hipster-Look: Die Identitäre Bewegung riecht nach 1933 – 
Sonntag ist Büchertag: „Die Identitären – Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ von Kathrin Glösel / Natascha Strobl / Julian Bruns (Hg.)

Rezensiert von Klaus Waldmann / kritisch-lesen.de

In den Medien tauchen immer wieder Bilder von spektakulären Aktionen rechtsextremer Aktivist_innen auf, die behaupten, sie würden Europa gegen fremde Eindringlinge verteidigen und vor Überfremdung retten. Hintergründe, Motive und Aktionsformen werden in diesem Handbuch analysiert.

Im August 2016 etwa klettern Aktionisten auf das Brandenburger Tor, im Dezember 2016 setzten sie sich vor die Bundesgeschäftsstelle der CDU, um die Schließung der Grenzen zu fordern. Im Mai dieses Jahres protestierten sie vor dem Bundesjustizministerium in Berlin gegen Zensur und Meinungsverbote. Wer sind diese Aktionisten von rechts, die sich hipp, frech und kreativ geben und sich die „Identitären“ nennen? Was sind ihre ideologischen Grundlagen? Was sind ihre Ziele und Strategien? Wie sind sie vernetzt und politisch zu verorten? Bereits im Jahr 2014 ist die erste Auflage des „Handbuch(s) zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ erschienen, das versucht, diese Fragen zu beantworten. Eine erweiterte zweite Auflage erschien 2016 und eine aktualisierte Nachauflage hat der Verlag für den Juli 2017 angekündigt. In Österreich tritt die „Identitäre Bewegung“ bereits seit Jahren massiv auf. Umso naheliegender, dass das Handbuch von österreichischen Autor_innen vorgelegt wurde.

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International vernetzt und historisch inspiriert

Im ersten Teil des Bandes wird versucht, die Identitäre Bewegung politisch zu verorten und ihre historischen Vorläufer zu identifizieren. Die Autor_innen verstehen diese Gruppierung als Jugendbewegung der Neuen Rechten. Die Neue Rechte betrachten sie als eine Gegenbewegung gegen die Ideen von 1968, die sich gegen Marxismus und politischen Liberalismus richtet und eine klare Ideologie der Ungleichheit vertritt. Sie beziehe sich auf den Begriff der „Volksgemeinschaft“, trete für einen anti-egalitären Begriff von Demokratie ein (nur wer dazu gehört, darf politisch mitbestimmen) und lehne Individualismus und universelle Menschenrechte ab. Die Autor_innen zeigen Beziehungen zu den historischen Vorbildern des national-revolutionären Lagers der 1920er und 1930er Jahre auf und spannen einen Bogen von Carl Schmitt, Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger bis hin zu Alain de Benoist, dem Chefideologen der französischen Novelle Droite, deren Ursprung bis in das Jahr 1968 zurückreicht.

Ausgangspunkt der Identitären Bewegung ist die Gründung der Gruppe Génération Identitaire (Die Identitäre Generation) im Jahr 2003 in Frankreich. In Österreich trat die Gruppe zum ersten Mal stärker im Jahr 2012 in Erscheinung, in Deutschland sind ab 2014 vermehrt Aktivitäten zu verzeichnen. Im zweiten Teil des Handbuchs geben die Autor_innen einen informativen Überblick über die Entwicklungen und Situation der Identitären Bewegung in Frankreich, Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Schweden, Norwegen, Dänemark und Tschechien, wobei der Beitrag zu Österreich einen breiteren Raum einnimmt. Einige Studien zur Situation in den Ländern fallen sehr kursorisch aus, doch erkennbar wird, dass die Gruppen der Aktivist_innen länderübergreifend vernetzt sind. Die organisatorischen Verbindungen seien relativ locker, jedoch würden zentrale Elemente der Ideologie gemeinsam geteilt werden. Kritisch ist anzumerken, dass einige der Informationen zur Situation in den verschiedenen Ländern aufgrund politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen nicht mehr aktuell sind. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Mangel in der aktualisierten Neuausgabe behoben wird.

Der Überblick über die verschiedenen Länder und insbesondere über Verlage, Blogs, Zeitschriften, Think Tanks und Netzwerke zeigt jedoch eindrucksvoll, dass diese Jugendbewegung sich in einem „Mischspektrum [bewegt], das Rechtsextremismus und stark wertkonservatives Gedankengut vereint“ (S. 31). Sie ist auch als Ausdruck eines Prozesses „der Radikalisierung des konservativen Spektrums einerseits und der Modernisierung des rechtsextremen Spektrums andererseits zu begreifen“ (S. 29).

Kultureller Rassismus im Hipster-Look

Im dritten Teil des Handbuchs werden Ideologie und Strategie der Neuen Rechten analysiert. Schon der Überblick über die Situation der „Identitären Bewegung“ in verschiedenen europäischen Ländern gibt zu erkennen, dass die „Neue Rechte“ sich nicht einfach auf einen völkisch definierten Begriff der Nation bezieht, sondern von einem europäischen „Kulturraum“ spricht, der gegen Überfremdung verteidigt beziehungsweise zurückerobert werden muss. Die Autor_innen arbeiten heraus, dass der Islam den Identitären als Feindbild dient und als fremdes, bedrohliches Phänomen inszeniert wird. Jedoch behaupteten die „Identitären“, nicht rassistisch zu sein. Sie vertreten das Konzept des Ethnopluralismus, nach dem „alle sogenannten Kulturen homogen und abgeschottet voneinander existieren würden“ (S. 199). Mit diesem Konzept sei jedoch nichts anderes als ein kultureller Rassismus gemeint. Ethnopluralismus stehe für eine prinzipielle Gleichwertigkeit regionaler wie nationaler, jedoch getrennt existierender Volksgruppen. Als Gegenbild zur multikulturellen Vielfalt einer untergehenden Gesellschaft zeichnen sie das Bild kleiner homogener Gemeinschaften. Diese spiegelten dann auch die im Begriff „identitär“ transportierte Sehnsucht nach Identität und Homogenität wider, die soziale Konflikte, Interessen und Differenzen zum Verschwinden brächte. Wahre Eliten sollen im Sinne des Volkes regieren. Männer sollen wieder Männer sein, Frauen sollen sich auf ihre „natürliche“ Bestimmung als Mütter beziehen. Nach dem Menschenbild der Neuen Rechten benötigten Menschen feste und geordnete Strukturen sowie abgegrenzte Räume. Migration würde genau dies gefährden und auflösen und somit „natürliche“ Gemeinschaften zerstören. Was nicht diesen Normen entspricht, werde durch die identitäre Bewegung ausgegrenzt. Die Neue Rechte richte sich gegen Multikulturalismus, politischen Liberalismus und kritisiere von rechts den globalen, zerstörerischen Kapitalismus. Die Strategie der Identitären ziele auf eine Kulturrevolution von rechts, es gehe um „eine Machtübernahme im vorpolitischen Raum“ (S. 224) und darum, „den Konsens einer Gesellschaft nach rechts zu verschieben“ (S. 224).

Die Autor_innen zeigen an verschiedenen Beispielen auf, wie sich die Identitären popkultureller Muster und Sozialer Medien bedienen. Bei den Aktionen gehe es vor allem darum, Bilder zu produzieren. So würden jeweils kurz nach den Aktionen Videos im Internet veröffentlicht, die die Anliegen der Identitären verbreiten. Auf diese Weise gelänge es ihnen, den Eindruck einer großen Bewegung zu wecken, obwohl die Zahl der Aktivist_innen in Deutschland vom Verfassungsschutz lediglich auf 300 bis 400 Personen geschätzt wird.

Zwischen Rechtspopulismus und rechtsradikaler Szene

Das Handbuch bietet einen informativen Überblick über Hintergründe, historische Vorbilder, europaweite Vernetzung, Strategien, Aktionsformen und zentrale Ideologien der Identitären. Diese Jugendbewegung, in der zahlreiche Aktivisten engagiert sind, die davor in eindeutig rechten Gruppierungen mitgemischt haben, bildet nach Meinung der Autor_innen den aktivistischen Flügel der Neuen Rechten und bietet „eine leicht zugängliche und niederschwellige Subkultur der Menschenfeindlichkeit“ (S. 270). Weiterhin zeigen sie, dass die Identitären eine Brückenfunktion zwischen rechtsextremistischen und rechtsradikalen Aktivist_innen und rechtspopulistischen Strömungen einnehmen.

Diese Veröffentlichung wird dem Anspruch eines Handbuchs nicht wirklich gerecht. Bei der Lektüre setzt sich der Eindruck fest, dass es sich um eine Qualifikationsarbeit handelt, die für eine Veröffentlichung um einige schnell geschriebene Abschnitte ergänzt worden ist. Das hat zur Folge, dass die einzelnen Abschnitte von unterschiedlicher Qualität sind. Geschrieben ist dieses Buch aus einer kritischen Perspektive, die den menschenfeindlichen, rassistischen und rechtsextremen Charakter der Identitären Bewegung, ihre historischen Vorläufer und ihre Strategie, sich an popkulturellen Symbolen und ursprünglich linken Aktionsformen zu bedienen, offenlegt. Als vertiefender Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Identitären Bewegung und den Versuchen einer kulturellen Modernisierung der Neuen Rechten ist es auf jeden Fall zu empfehlen.

Kathrin Glösel / Natascha Strobl / Julian Bruns (Hg.):
Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa.
Unrast Verlag, Münster 2016
ISBN: 978-3-89771-560-8.
320 Seiten. 18,00 Euro.

Der Beitrag erschien zuerst am 11. Juli bei unserem Kooperationspartner kritisch-lesen.de unter der Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

Titelbild: Proteste gegen „identitäres“ Vernetzungstreffen in Wien (Alexander Roll/Unsere Zeitung)

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