Die wichtigste Maßnahme zur Sicherung von Beschäftigung und zur Eindämmung des Arbeitslosigkeitsanstiegs seit dem Corona-Lockdown war die Kurzarbeit. Diese Erfahrungen können genutzt werden für ein staatlich gefördertes Arbeitszeitverkürzungsmodell, das dazu beiträgt, die Rekordarbeitslosigkeit in Österreich zu senken, die Produktivität zu steigern und für mehr Freizeit zu nutzen. Erste Berechnungen zeigen, dass die öffentlichen Kosten im Vergleich zur Alternative Arbeitslosigkeit leistbar sind.
Von Jürgen Figerl, Dennis Tamesberger und Simon Theurl (awblog.at)
Rekordarbeitslosigkeit
Die Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung zur Reduktion der Ausbreitung von COVID-19 haben zu einem Schock am Arbeitsmarkt geführt. Mehr als 200.000 Menschen verloren innerhalb von zwei Wochen ihren Arbeitsplatz. Ende März waren 563.530 Menschen entweder arbeitslos oder in Schulung. In den Folgemonaten verlangsamte sich der Anstieg. Im September waren noch immer 408.000 Menschen ohne Beschäftigung. Laut Konjunkturprognosen (Juni 2020) wird die Arbeitslosigkeit in Österreich im Jahresdurchschnitt 2020 zwischen 99.000 (WIFO) und 121.000 (IHS) Personen höher sein als noch im Vorjahr.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, über neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik nachzudenken, denn ohne beschäftigungsschaffende Maßnahmen ist damit zu rechnen, dass sich die Arbeitslosigkeit weiter verfestigen wird.
Erfolgsmodell Kurzarbeit
Zeitgleich mit dem „Lockdown“ haben die Sozialpartner ein Kurzarbeitsmodell entwickelt, das für alle Beteiligten attraktiv sein soll. Die Grundidee der Kurzarbeit ist einfach: Sie stellt eine Form der vorübergehenden Arbeitszeitverkürzung dar, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Die Betriebe wurden unverzüglich (teilweise sogar rückwirkend bis 1. März) von Personalkosten entlastet und konnten die Kurzarbeit von einem Tag auf den anderen beenden, wenn wieder Aufträge eingingen. Die betroffenen Beschäftigten hatten die Sicherheit, dass sie einen Großteil ihres bisherigen Nettoeinkommens bekommen, Sozialversicherungsbeiträge in Höhe der vorangegangenen Normalbeschäftigung eingezahlt werden und ihr Beschäftigungsverhältnis aufrechtbleibt. Für den Staat besteht der Vorteil darin, dass die Aufwendungen für die Kurzarbeitsbeihilfe geringer sind, als die volkswirtschaftlichen Kosten der Alternative – nämlich Arbeitslosigkeit – wären.
Das Corona-Kurzarbeitsmodell erwies sich als sehr attraktiv, und bereits Mitte Mai wurde für rund 1,35 Mio. ArbeitnehmerInnen Kurzarbeit beantragt. Tatsächlich in Anspruch genommen wurde nur ein Teil der beantragten Förderung. Das zeigt, dass die Kurzarbeit Sicherheit an Betriebe in einem äußerst unsicheren wirtschaftlichen Umfeld signalisierte.
Vorschlag für ein gefördertes Arbeitszeitverkürzungsmodell
Die Erfahrungen mit der Kurzarbeit können jetzt genutzt werden für ein staatlich gefördertes Arbeitszeitverkürzungsmodell. Erste Vorschläge von einer gerechten Verteilung der Arbeitslosigkeit über die Weiterentwicklung des Solidaritätsprämienmodells bis hin zum „90 für 80“-Vorschlag des ÖGB gelangten bereits an die Öffentlichkeit.
Unser Vorschlag setzt da an und versucht den unterschiedlichen Arbeitszeitwünschen weitgehend Rechnung zu tragen und eine geförderte Arbeitszeitreduktion bis zu einer Arbeitswoche von 32 Stunden zu ermöglichen, die der Wunscharbeitszeit von Personen mit Kinderbetreuungspflichten entspricht. Die Arbeitszeit könnte von jeweils vier Personen in einem Unternehmen um 20 Prozent, z. B. von 40 Stunden auf 32 Stunden, reduziert werden. Dafür wird eine zuvor arbeitslose Person eingestellt (Einstellpflicht für die Unternehmen). Die neue Arbeitskraft muss im Ausmaß der durch die Reduktion gewonnenen Arbeitszeit beschäftigt werden. Das heißt, um in diesem Modell 50.000 Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren, müssten 200.000 Beschäftigte die Arbeitszeit reduzieren. Die Förderung kann einmalig für zwei Jahre beantragt werden.
Für die Einkommensverluste, die bei den Lohnabhängigen durch reduzierte Arbeitszeiten entstehen, sind subventionierte Ersatzleistungen im Sinne einer Arbeitszeitverkürzungs-Beihilfe (AZV-Beihilfe), gestaffelt nach dem Einkommen, vorgesehen. Konkret bekommen die ArbeitnehmerInnen trotz Reduktion der Arbeitszeit das Einkommen von den Unternehmen in Höhe von 100/95/90 Prozent des vorherigen Bruttoeinkommens weiterbezahlt. Unser Vorschlag der Förderung der AZV ist wie folgt progressiv gestaltet:
- Bei einem Einkommen bis 1.700 Euro beträgt die Bruttoersatzrate 100 Prozent.
- Bei einem Einkommen von 1.701 bis 2.400 Euro beträgt die Bruttoersatzrate 95 Prozent.
- Bei einem Einkommen von 2.401 bis 5.370 Euro beträgt die Bruttoersatzrate 90 Prozent.
- Ab 5.371 Euro keine Förderung.
Dieser Vorschlag trägt dem Umstand Rechnung, dass je höher das Einkommen und je länger die Arbeitszeit ist, desto größer auch der Wunsch nach AZV ist. Anders ausgedrückt, versuchen die hohen Bruttoersatzraten auch für Einkommensgruppen mit niedrigerem Einkommen die Möglichkeit für Arbeitszeitverkürzung zu schaffen.
Gleichzeitig entspricht die Progression dem Leistungsprinzip, dass sich Personen mit höherem Einkommen eine AZV auch mit niedriger Bruttoersatzrate leisten können. Die Sozialversicherungsbeiträge, inkl. der sonstigen Lohnnebenkosten, werden in der Höhe wie vor der Arbeitszeitreduktion weiterbezahlt. Das hilft, negativen Langzeitfolgen wie Altersarmut vorzubeugen. Um den Verwaltungsaufwand für Unternehmen kleinzuhalten, wäre es denkbar, dass die Förderungen beim Finanzministerium bei der jährlich anfallenden Steuermeldung in Form von Steuergutschriften abgegolten werden könnten.
Erste Kostenschätzung
Finanzieren lassen sich die Lohnsubventionen durch einen Passiv-aktiv-Tausch. Das bedeutet, dass Ausgaben, die ansonsten im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit bezahlt werden – Arbeitslosengeld und Versicherungsbeiträge – für Arbeitszeitverkürzung herangezogen werden. Gleichzeitig steigen die staatlichen Rückflüsse – Steuer- und Abgabeneinnahmen – durch die Beschäftigung der arbeitslosen Person.
Die Nettokosten (d. h. Bruttokosten minus der Rückflüsse an den öffentlichen Sektor) für die Arbeitszeitverkürzungs-Förderung für 200.000 Beschäftigte und für die Integration von 50.000 Arbeitslosen würden pro Jahr – je nach Höhe der Einkommen der geförderten Beschäftigten – zwischen 51 Mio. Euro und 1,237 Mrd. Euro liegen. Um eine Orientierung anzubieten, haben wir ein Kontingent durchgerechnet, bei dem 120.000 Beschäftigte mit einem Bruttoeinkommen von 1.700 Euro, 50.000 Beschäftigte mit einem Bruttoeinkommen von 2.400 Euro und 30.000 Beschäftigte mit einem Bruttoeinkommen von 5.370 Euro ihre Arbeitszeit um 20 Prozent reduzieren und mit der AZV-Beihilfe gefördert werden. Die Nettokosten für den öffentlichen Sektor würden sich dabei auf rund 285 Mio. Euro pro Jahr belaufen, was sich als relativ geringe Investition zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit darstellt.
Eine wichtige Erkenntnis ist bei diesen Berechnungen, dass die Nettokosten des öffentlichen Sektors pro Arbeitslosen reduziert werden können, je mehr Beschäftigte mit geringem Einkommen gefördert werden.
Fördern wir gesellschaftlichen Fortschritt
Dieser Vorschlag für eine staatliche Förderung einer Arbeitszeitverkürzung ist allein nicht in der Lage, für Vollbeschäftigung in Österreich zu sorgen. Aber es könnte ein wichtiger Baustein in einem breiten Policy-Mix sein, wie z. B.:
- Eine beschäftigungsorientierte Wirtschafts- und Konjunkturpolitik
- Eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Bewältigung des Strukturwandels und zur Förderung der individuellen Arbeitsmarktchancen.
- Darüber hinaus braucht es eine öffentliche Jobgarantie für Langzeitarbeitslose.
- Ein staatlich gefördertes Experiment zur Arbeitszeitverkürzung. Es könnte auch angedacht werden, bereits bestehende AZV-Modelle, wie das Solidaritätsprämienmodell sowie Altersteilzeitmodell, in ein einheitliches Arbeitszeitverkürzungsmodell mit hohen Bruttoersatzraten zu integrieren.
- Da Arbeitslosigkeit auch eine Folge von zu geringer Binnennachfrage ist, könnte eine entsprechende Mindestlohnpolitik zu Vollbeschäftigung beitragen.
Die staatliche Förderung der Arbeitszeitverkürzung entfaltet über die unmittelbaren Beschäftigungseffekte hinaus wichtige Wirkungen, die gesamtgesellschaftlich von Interesse sind und somit die staatliche Förderung rechtfertigen. Arbeitszeitverkürzung kann dazu beitragen, den Ressourcenverbrauch zu senken, CO2-Emissionen durch berufsbedingtes Pendeln zu mindern, stressbedingte Erkrankungen zu reduzieren, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern und mehr Zeit für zivilgesellschaftliches und politisches Engagement zu ermöglichen. All das wäre ein gesellschaftlicher Fortschritt, den wir staatlich fördern sollten.