Am 20. November 1989 wurde von den Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes verkündet. Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens beschreiben und erklären wir in einer Beitragsserie die wesentlichen Inhalte dieser Völkerrechtskonvention für die Lebensspanne der Kindheit eines jeden Menschen.
In ihrem dritten Beitrag verdeutlichen Gunther und Benjamin Moll den Zeitraum der Kindheit sowie das Primat des Wohlergehens eines jeden Kindes:
Was ist ein Kind? (Artikel 1)
Ein Kind ist jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt.
Ein Kind ist ein Mensch mit einem bestimmten Alter. Kein minderjähriger und minderwertiger, sondern ein ganzer, vollständiger Mensch, der sich in der Lebensspanne zwischen Zeugung und jungem Erwachsenenalter befindet. Eine Zeit, die kein Mensch überspringen kann.
Ein Kind ist ein Mensch in Entwicklung und Abhängigkeit. Alles, was ein Kind in seiner Umwelt aufnimmt und erfährt, nimmt Einfluss auf seine weitere Geschichte und bestimmt deren Inhalt, Richtung und Verlauf. Die Vielfalt der Wahrnehmungen, die Art und Weise der Empfindungen, Reichtum, Tiefe oder Armut der Gefühle, Freiheit, Kreativität oder Einförmigkeit des Denkens, Selbstsicherheit oder Schüchternheit des Verhaltens, die Möglichkeit, glücklich zu sein oder nicht, einfach alles.
Kinder, die nicht in den von den Vereinten Nationen bestimmten Umständen – Glück, Liebe, Schutz, Fürsorge und Verständnis – aufwachsen sowie nicht nach den von ihnen vorgegebenen Vorsätzen und Idealen – Frieden, Würde, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Solidarität – erzogen werden oder denen selbst Schlechtes vorgelebt beziehungsweise Böses angetan wird, sind empfänglich für Abscheulichkeiten, Niedertracht und Verbrechen.
Sie können dabei selbst zu schlechten und bösen Menschen werden, welche die Ideale und den Geist der Charta der Vereinten Nationen verletzen und verachten sowie alle Formen von Unmenschlichkeit bis hin zu Kriegen auf unserer Erde weiterbestehen lassen.
In der Kindheit fallen die Würfel für das ganze weitere Leben. Schon alleine deshalb bedarf diese so entscheidende Lebensspanne ganz besonderer Achtung.
Achten und Gewährleisten (Artikel 2)
Der Staat achtet die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleistet diese jedem Kind. Achten bedeutet Respekt haben, Rücksicht nehmen, Beachtung schenken, wertschätzen sowie aufmerksam und wachsam sein. Gewährleisten heißt garantieren, versichern und sicherstellen sowie im Alltag leben und verwirklichen.
Dies bedeutet für den Staat, seine Organe, Institutionen und Einrichtungen: Die in der Kinderrechtskonvention verbrieften Rechte des Kindes sind – wenn überhaupt – nicht erst auf einen Antrag seiner Eltern hin zu gewähren; so wie sich zu Vorzeiten die Untertanen vor einem König, Fürsten, Papst oder Großgrundbesitzer als Bittsteller unterwerfen mussten. Nein, sie sind jedem Kind von Anfang an uneingeschränkt und selbstverständlich zu gewährleisten.
Achten und Gewährleisten: Dabei ist jedes Kind, dies betonen die Vereinten Nationen, im Besonderen auch vor allen Formen von Diskriminierung zu schützen. Durch alltägliches Vorleben in der Familie sowie gemeinsames Großwerden von Kindern mit anderen Kindern, die aus den verschiedensten Kulturkreisen stammen, unterschiedlichste Interessen zeigen und verschiedenste Bräuche und Traditionen ausüben, austauschen und miteinander teilen.
Zusammenleben und Zusammenhalten in Unterschiedlichkeit und Vielfalt waren eines der Erfolgsgeheimnisse unserer Menschheitsgeschichte.
Sie sind auch heute noch genau das, was Kinder stark und menschlich macht: In Kindergärten, Schulen und Vereinen (Sport, Tanz, Musik, Chor, Feuerwehr und viele andere mehr), zusammen mit allen Kindern eines Dorfes, einer Gemeinde oder einer Stadt, unabhängig ihrer Rasse [1], der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.
Nur durch Erleben und Erfahren der Unterschiede, Stärken und Schwächen, Begabungen und Handicaps werden Auffälligkeiten und Andersartigkeiten zu Alltäglichkeiten. Dabei ist gemeinsam zu spielen am schönsten und gemeinsam zu handeln für den Einzelnen wie für die gesamte Gruppe und Gesellschaft am erfolgreichsten.
Einem Kind zu zeigen, du bist weniger wert als andere, ist gemein und böse. Es ist eine Missachtung der Einmaligkeit eines Kindes, seiner Seele und seines Wohlergehens. Es ist eine Verletzung seines Wohls.
Das Wohl hat immer Vorrang (Artikel 3)
Das Wohl des Kindes, sein Wohlergehen ist vorrangig zu berücksichtigen, allumfassend, bei allen Maßnahmen.
Diese Wertschätzung des Wohls eines jeden Kindes setzen die Vereinten Nationen in seiner Vorrangigkeit von allen Seiten, von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen in aller Klarheit als höchstes Gut fest.
Der Staat muss dabei jedem Kind den Schutz und die Fürsorge gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind. In seiner Familie, im Kreis seiner Freunde, in Kinderkrippe, Kindergarten und Schule, in seiner Freizeit, 24 Stunden an sieben Tagen der Woche. Jedes Kind muss sich vom ersten Lebenstag an wohl fühlen, gerne leben, neugierig lernen sowie gut und sicher schlafen können.
Zum Wohl fühlen und Gut ergehen bedarf es nicht nur besonderer, ihm voller Liebe, Vertrauen und Verantwortung verbundener Menschen. Ein Kind muss ebenso in einer besonderen Umgebung aufwachsen und leben. Nicht nur Wohnungen und Häuser der Familien, sondern alle Einrichtungen für Kinder müssen deshalb so beschaffen sein, dass sich jedes Kind darin wohl fühlen kann.
Kinderkrippen, Kindergärten, Horte und Schulen müssen zu den schönsten Gebäuden eines Dorfes, Stadtteils oder einer Stadt zählen, mit besten, gesunden Materialien, modernster Einrichtung und höchsten Energie- und Umweltstandards. Denselben Anspruch haben die Ausstattung von Spielplätzen, Sportstätten, Freizeiteinrichtungen, Jugendklubs und viele andere mehr zu erfüllen.
Darüber hinaus muss der Staat sicherstellen, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht.
Dabei müssen insbesondere die Anzahl und die Qualifikation des Personals so hoch sowie die entsprechenden Normen so festgesetzt sein, dass das Wohl des Kindes und seine Entwicklung in größtmöglichem Umfang gewährleistet sind. Dies gilt in ganz besonderem Maße für Qualifikation und Personalschlüssel der Fachkräfte in Kinderkrippen, Kindergärten, Horten, Schulen sowie Jugendämtern und Jugendhilfeeinrichtungen.
Das Wohlergehen eines jeden Kindes ist das Wichtigste! Sein Wohl hat immer Vorrang.
Dabei gibt es fast keine Maßnahme oder Entscheidung – im Großen auf Bundesebene wie im Kleinen in den Kommunen – die nicht auch Kinder betrifft. Sie sind die nächste Generation, die das Land übernehmen wird, sein Vermögen und seine Ressourcen ebenso wie seine Missstände und Reparaturkosten der bisherigen Umweltzerstörung.
Ausblick
Im nächsten Beitrag legen wir die Verfügbarkeit der finanziellen Mittel dar und betonen das Recht eines jeden Kindes, sich in größtmöglichem Umfang entwickeln zu können…
Anmerkungen:
[1] Zur Beschreibung der individuellen Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe wird heute vorzugsweise der Begriff der Ethnie verwendet, da aus wissenschaftlicher Sicht die Einteilung der Spezies Mensch in Rassen (der Begriff, obgleich veraltet, findet sich immer noch in zahlreichen Gesetzestexten et cetera; auch in der Kinderrechtskonvention) hinfällig ist. Sichtbare Unterschiede von Menschen aus verschiedenen Kontinenten führen nicht zu objektiv abgrenzbaren Gruppen, sondern die Übergänge sind fließend.
Weitere Teile der Serie:
Teil 1: Die Vorgeschichte
Teil 2: Die Präambel
Teil 4: Mittel und Umfang
Teil 5: Eltern und Verantwortung
Teil 6: Flucht und neue Familie
Teil 7: Sicherheit und Gesundheit
Teil 8: Mitbestimmung und Freiheit
Teil 9: Schule, Bildung, Leben
Die Beitragsserie erschien zuerst auf neue-debatte.com, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.
Titelbild: Thiago Cerqueira on Unsplash