Während man nun beim Coronavirus völlig selbstverständlich auf Ge- und Verbote sowie umfangreiche budgetfinanzierte Programme setzt, sollte der Klimaschutz lange Zeit vor allem durch Anreize, Bewusstseinsbildung und den Markt geregelt werden. Dass das nicht funktioniert, beweisen die vergangenen verlorenen dreißig Jahre.
Von Heinz Högelsberger und Florian Wukovitsch (Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien)
Man stelle sich vor: Um die Klimakrise einzudämmen, verkündet der Bundeskanzler – flankiert von der zuständigen Ministerin – tagtäglich neue drastische Einschnitte. Der gar nicht so zuständige Innenminister ist auch dabei und wird nicht müde zu erwähnen, dass nötigenfalls auch „Zwangsmaßnahmen“ ergriffen werden. Die Bewegungsfreiheit und der Gestaltungsspielraum der Menschen wird extrem beschnitten: Grenzen werden gesperrt, der Flugverkehr geht stark zurück, globale Güterketten werden getrennt. Die Menschen sollen daheim bleiben, statt zu konsumieren. Venedig und Hallstatt gehören wieder den Einheimischen. Und all das passiert in einer funktionierenden Demokratie und wird von gewählten Regierungen verfügt!
Mit diesem Absatz beginnt ein Gastkommentar eines der beiden Autoren dieses Beitrags in der „Wiener Zeitung“ vom 13. März 2020. Die Frage, wie Klimaschutz und die Bekämpfung der Corona-Pandemie zusammenhängen und ob die politischen Reaktionen auf die aktuelle Krise allenfalls sogar klimapolitisch genutzt werden können, beschäftigt dieser Tage zwar nur eine Minderheit, diese aber umso intensiver. Die Ökonomin Julia Steinberger hat in ihrem Blog bereits am 19. März 2020 einen ersten Überblick über einschlägige Artikel aus angelsächsischen oder internationalen Medien zusammengestellt (und am 21. März aktualisiert). Hierzulande stellte Nora Laufer im „Standard“ vom 24. März 2020 fest, dass die Corona-Krise langfristig für das Klima mit Gefahren verbunden sein könnte – nämlich dann, wenn die Mittel, die jetzt für die Stützung der Wirtschaft dringend benötigt werden, für den Klimaschutz verloren gehen. Auch im Online-Nachrichtenportal des ORF wird in einem Beitrag vom 27. März der langfristige Nutzen für das Klima kritisch hinterfragt.
In vielen der von Julia Steinberger zusammengestellten Artikeln werden hingegen stärker positive Lerneffekte, Chancen und politische Verantwortung in den Vordergrund gerückt. So meint ein Autorenkollektiv des Future Earth Knowledge-Action Network on Systems of Sustainable Consumption and Production, dass die aktuelle Situation in wohlhabenden Staaten auch Chancen für eine Nachhaltigkeitstransformation eröffnet. Als Beispiele werden positive Erfahrungen mit reduzierten Arbeitsstunden, neu aufgestellte und umfassendere Systeme der Einkommenssicherung, weniger Pendelzeiten und Reisetätigkeit sowie die Besinnung auf lokale Versorgungsstrukturen ins Treffen geführt. Mittelfristig könnten sich nicht nur Verhaltensmuster, sondern auch Handelsstrukturen verändern. Alternative Systeme der Wohlstandsmessung – wie der AK-Wohlstandsbericht – könnten in der staatlich verordneten Rezession zeigen, wie abseits des BIPs Lebensqualität bewertet werden kann.
Durchstarten nach der Corona-Krise – aber wie?
Daneben können öffentlich finanzierte Rettungs- und Stützungsaktionen direkt einen Beitrag zu einer grünen Transformation leisten. So besteht in den USA mancherorts die Hoffnung, dass sich mit den im Bundesbudget freigemachten Mitteln in den Gemeinden dringend benötigte Investitionen in klimaschonende Infrastrukturen finanzieren lassen, beispielsweise in öffentliche Verkehrsmittel. Zwar besteht die Gefahr, dass die Stützungsmaßnahmen zu einem guten Teil emissionsintensiven Industrien und damit verbundenen Wertschöpfungsketten zugutekommen und damit den Kampf gegen den Klimawandel zusätzlich erschweren. Umso vehementer müsse daher nach der ersten Welle an Notfallmaßnahmen eingefordert werden, dass die weitere Unterstützung der Konjunktur im Kern an sozialen und ökologischen Zielen ausgerichtet wird.
Das gilt auch für die internationale Dimension der Krisenbewältigung. Beobachter internationaler Politik betonen, dass die Zeit nach der Corona-Pandemie – mit neuen Herausforderungen an multilaterale Innovation und Kooperation zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren – dabei unbedingt im Blick behalten werden muss. Chancen für die Verwirklichung eines gerechteren und klimaschonenderen Wirtschaftssystems, die in der Architektur zur wirtschaftlichen Stabilisierung im Zuge der großen Finanzkrise 2008 weitgehend ungenutzt blieben, sollten nun beim Schopf gepackt werden. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Zeiten für international akkordierte Maßnahmen schon einmal besser waren – nicht zuletzt angesichts einer Trump-Administration in den USA, die in zentralen Feldern internationaler Politik auf nationale Alleingänge setzt. Auch in der EU haben in den letzten Jahren nationale Interessen – Stichworte: Brexit, Flüchtlingskrise – deutlich mehr Gewicht bekommen.
Zumindest nationale Rettungsaktionen für Schlüsselindustrien – wie die Luftfahrt – sind daher an klare Kriterien zu knüpfen. Neben der Wahrung von Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand müssen – im Sinne einer Just Transition – Arbeitnehmer*innen und ihre Interessenvertretungen systematisch in Entscheidungen eingebunden werden. Ähnliche Forderungen stellt auch die renommierte Innovationsökonomin Mariana Mazzucato. In einem Gastbeitrag mit dem Titel „The Covid-19 crisis is a chance to do capitalism differently“, der am 18. März 2020 im „Guardian“ veröffentlicht wurde, schreibt sie:
„Conditions can be attached to make sure that bailouts are structured in ways that transform the sectors they’re saving so that they become part of a new economy – one that is focused on the green new deal strategy of lowering carbon emissions while also investing in workers, and making sure they can adapt to new technologies. It must be done now, while government has the upper hand.“
Corona- oder Klimakrise: Die Armen zahlen besonders drauf
Welche politischen Lehren wird die Corona-Krise also für die Klimakrise bereithalten? COVID-19 gefährdet die Gesundheit und kann tödlich sein. Das trifft auf den Klimawandel ebenso zu. In beiden Fällen gibt es Gruppen von Menschen, die von der Katastrophe oder den politischen Maßnahmen dagegen besonders betroffen sind. Das Corona-Virus gefährdet insbesondere Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, die politischen Maßnahmen treffen derzeit Arbeitnehmer*innen und Gewerbetreibende in bestimmten Sektoren sowie Bewohner*innen dicht bebauter Stadtviertel und Alleinerziehende besonders hart. Generell haben ärmere Menschen – nicht zuletzt im globalen Süden – weniger Möglichkeiten, sich vor den Folgen einer Viruserkrankung oder des Klimawandels zu schützen. Sie können sich im Allgemeinen auch schlechter an eine neue Situation anpassen, sei es durch die Verlegung des Arbeitsplatzes ins Home-Office, den Rückzug in den eigenen Garten oder – im Falle klimapolitischer Maßnahmen – durch Investitionen in Passivhäuser und Elektrofahrzeuge.
Obwohl sich die Wohlhabenden am besten vor den Folgen des Klimawandels schützen können, verursachen sie unverhältnismäßig hohe CO2-Emissionen, wie folgende Grafik der Hilfsorganisation Oxfam eindrucksvoll beweist:
Öffentliche Daseinsvorsorge statt Diktat des Marktes
Während man nun beim Coronavirus völlig selbstverständlich auf Ge- und Verbote sowie umfangreiche budgetfinanzierte Programme setzt, sollte der Klimaschutz lange Zeit vor allem durch Anreize, Bewusstseinsbildung und den Markt geregelt werden. Dass das nicht funktioniert, beweisen die vergangenen verlorenen dreißig Jahre. Die Corona-Krise zeigt nun, dass auch drastische Maßnahmen möglich sind, wenn der Großteil der Menschen ihre Notwendigkeit versteht. Dabei wären die zur Bekämpfung der Klimakrise notwendigen Änderungen im Alltag von DurchschnittsbürgerInnen gar nicht so dramatisch wie die aktuell verordneten. Statt Schulen und Theatern werden Steuerschlupflöcher (für Internetfirmen, aber auch für Kerosin) geschlossen. Anstelle geförderter Kurzarbeit wird die Normalarbeitszeit reduziert. Statt Billigarbeitskräfte in Fernost auszubeuten, werden die Produkte wieder vermehrt hierzulande hergestellt und repariert. Wo immer es möglich ist, weichen Autos dem öffentlichen Verkehr. Auf den Straßen fährt man wieder gern Rad. Der Flugverkehr wird radikal eingedämmt, mitsamt seinen unwürdigen Arbeitsbedingungen.
Die größten „Verhaltensänderungen“ würde es bei seriösen Klimaschutzmaßnahmen für einflussreiche Konzerne und die wirklich Reichen geben; und die haben den Klimaschutz bislang auch erfolgreich blockiert. Von den zehn größten Konzernen der Welt sind neun in der Öl- oder Autobranche tätig. Doch Profitmaximierung, wachsende Ungleichheit und Superreiche kann sich die Menschheit angesichts der nahenden Klimakatastrophe schlichtweg nicht mehr leisten. Eines macht die Corona-Pandemie deutlich: Wenn dringendes Handeln notwendig ist, überlässt niemand die Lösung des Problems dem Markt. Für die Bewältigung der Corona- und der Klimakrise braucht es eine gut finanzierte öffentliche Daseinsvorsorge und öffentliche Investitionen. Nach den Soforthilfen zur Krisenbewältigung müssen die weiteren Maßnahmen zur Konjunkturbelebung auch für einen ambitionierten Klimaschutz und die sozial gerechte Gestaltung des notwendigen Strukturwandels genutzt werden.