Prozessbeginn gegen Jahn B. am Mittwoch
Tausende Menschen demonstrieren völlig friedlich gegen Rechtsextremismus, alles verläuft ruhig, die Versammlung beginnt sich langsam aufzulösen – soweit so unspektakulär – bis dann plötzlich 30 schwer bewaffnete und gepanzerte WEGA-PolizistInnen auf eine Gruppe kurdischer DemonstrantInnen losstürmt und eine Person brutal überwältigt, um sie aus der Menge zu zerren. Der festgenommene Demonstrant blutet stark aus dem Kopf und scheint das Bewusstsein zu verlieren, die PolizistInnen schleifen den Mann im Schwitzkasten mit sich mit. Kinder, die die brutale Festnahme beobachten weinen und wissen nicht was hier geschieht.
Dies alles ereignete sich am 4. Juni 2014, unmittelbar nach den Protesten gegen das so genannte „Fest der Freiheit“, einer Veranstaltung deutschnationaler Burschenschafter, in der Wiener U-Bahn-Station Schottentor. Jener 43-jährige Antifaschist, der aus der Gruppe von DemonstrantInnen gezerrt und von mehreren WEGA-BeamtInnen überwältigt wurde, war Hüseyin S., der daraufhin fast drei Monate Untersuchungshaft in der Justizanstalt Josefstadt verbringen musste. Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter warf Hüseyin S. vor, er hatte „von Anfang an […] die Absicht sich an der Zusammenrottungen hunderter Demonstranten anzuschließen mit dem Ziel in dieser Zusammenrottung Gewalttaten gegen einschreitende Polizeibeamte zu setzten.“ Von diesen teils grotesken Vorwürfen des Landfriedensbruchs in „Rädelsführerschaft“ und des angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt wurde Hüseyin S. freigesprochen, zu sechs Monaten bedingter Freiheitsstrafe wurde er – wegen „reflexartigen Schlagens“ auf eine Polizeikette, wie er selbst einräumte – aber dennoch verurteilt.
Delikt: Zivilcourage
Im Zuge der Festnahme von Hüseyin S. kam es aber noch zu einem zweiten Vorfall, der bislang auf eher wenig mediales Interesse stieß: Der damals 20-jährige Jahn B., der das ganze Szenario beobachten konnte, forderte die PolizistInnen auf, den Festgenommenen sofort in ein Krankenhaus zu bringen, um ihn dort ärztlich zu versorgen. „Er war halb bewusstlos, sein Kopf voller Blut und – was dem Ganzen die Krone aufsetzte – die Polizei schliff ihn im Schwitzkasten mit sich mit. Ich rannte vor die Gruppe der Polizisten und schrie sie an, sie sollen den Mann sofort in ein Krankenhaus bringen. Es kam keine Antwort, ich wurde nur weg geschubst und sie gingen mit dem Mann, weiter im Schwitzkasten, Richtung Rolltreppe“, beschreibt Jahn B. den Vorfall in einem Artikel für VICE.
Als er dann versuchte, wenigstens die Öffentlichkeit auf diese brutale Festnahme aufmerksam zu machen, gab der WEGA-Gruppeninspektor den Befehl aus: „Den nehmen wir mit!“, und im selben Moment überwältigten ihn mehrere PolizistInnen. „Ich wusste nicht warum und nicht wie mir geschieht. Ich hab versucht mich zu lösen, aber ohne Gewalt anzuwenden, sondern nur indem ich mich bewegt habe. Die waren ja alle gepanzert. Auf meine ständige Frage warum ich festgenommen werde, erhielt ich keine Antwort“, so Jahn B. in einer Stellungnahme.
Mehr als sieben Monate nach seiner Verhaftung bekam er den Strafantrag (siehe Faksimile oben) zugestellt, am kommenden Mittwoch, 8. April, steht Jahn B. nun vor Gericht. Angeklagt ist er wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung. Laut Anklage hatte sich der Gruppeninspektor während der Festnahme einen Sehnenriss des linken Bizepsmuskels zugezogen. Für den ersten Prozesstag, der für anderthalb Stunden angesetzt ist, sind sechs Polizeibeamte als ZeugInnen geladen, darunter auch der Gruppeninspektor, der den Vorwurf der Körperverletzung gegen Jahn B. erhebt.
Kritik an Prozesswelle gegen AntifaschistInnen
„Die Anklage gegen Jahn B. reiht sich in die skandalträchtigen Vorverurteilungen von AntifaschistInnen des letzten Jahres ein“, protestiert der Bundesvorsitzende des KZ-Verbands/VdA, Harald Grünn, in einer Aussendung. Die neuerlichen Vorwürfe gegen einen Antifaschisten kritisiert auch Dominik Samassa, Sprecher des Bündnisses „Linz gegen Rechts“, scharf: „Es scheint, als gelte die Unschuldsvermutung für AntifaschistInnen nicht. Während zahlreiche rechte Übergriffe und Verstöße gegen das Verbotsgesetz am Rande der rassistischen Pegida-Kundgebungen bisher kleingeredet werden, sehen sich AntifaschistInnen willkürlichen Unterstellungen ausgesetzt.“ Das Bündnis „Linz gegen Rechts“ war es auch, das den Vorfall mit einer Spendensammlung für Jahn B.s Prozesskosten an die Öffentlichkeit brachte. Inzwischen haben auch die Österreichische HochschülerInnenschaft, die GPA-djp Jugend, die Offensive gegen Rechts und die Sozialistische Jugend Österreichs in ersten Stellungnahmen ihre volle Solidarität mit dem Beschuldigten ausgesprochen.
ZeugInnen gesucht!
Das Rechtsinfokollektiv sucht nach wie vor noch nach ZeugInnen, sowie Foto- oder Videomaterial, die zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich sein können. „Bitte meldet euch bei uns wenn ihr weiterhelfen könnt, entweder in der Beratungszeit oder besser per E-Mail (rechtsinfokollektiv@riseup.net) damit wir ein eigenes Treffen ausmachen können“, heißt es in einem ZeugInnenaufruf auf der Homepage. Die Verhandlung findet am 8. April um 9:00 Uhr im Verhandlungssaal 208 des Wiener Landesgerichts statt.
Foto: Unsere Zeitung