Vom Unbehagen des Politischen

freud_zuckermannSigmund Freuds Psychoanalyse zielte nicht nur auf die Erforschung des Seelenlebens ab, sie hatte auch einen eminent politischen Kern. Das beweist der israelische Soziologe und Philosoph Moshe Zuckermann in seiner neuen Essaysammlung „Freud und das Politische“. – Sonntag ist Büchertag

Freuds Denken basiert auf einer konfliktuell strukturierten Auffassung der conditio humana. Es geht davon aus, dass der als Lustsucher, also als triebgesteuertes Wesen, in die Welt kommende Mensch von Anbeginn mit einer Realität konfrontiert ist, die – der Befriedigung der Triebansprüche entgegenwirkend – als ihrem Wesen nach „feindlich“ wahrgenommen wird. Die Realität wird früher oder später zum Prinzip erhoben, und als Realitätsprinzip wirkt sie im Menschen als polarer Gegensatz zum Lustprinzip. Bekanntlich bilden sich, Freud zufolge, in der menschlichen Psyche entsprechende Instanzen aus: Im Es sind die Lust generierenden Triebe (wie auch verdrängte Lustwünsche und -antriebe) beherbergt; im Über-Ich als verlängertem Arm der Gesellschaft, mithin der äußeren Realität, „wohnen“ verinnerlichte Moral und das sich mit ihr bildende Gewissen; das Ich, gleichsam der vernunftgeleitete rationale Anteil der Psyche, dem die Aufgabe zukommt, sich auf die gesellschaftliche Realität adäquat auszurichten, sieht sich demgemäß der Wirkung zweier gegensätzlicher Kräfte ausgesetzt – lapidar gesagt: dem des ewig wollenden Es und dem des dem Gewollten Einhalt gebietenden bzw. es verbietenden Über-Ichs.

Freud war natürlich nicht der Erste, der diesen Grundumstand der menschlichen Existenz erkannt und systematisch erörtert hat. In allen Kulturen, in allen Mythologien und Religionen, aber auch schon in der Frühzeit der westlichen Philosophie wurde das Konfliktpotenzial zwischen dem triebgesteuerten Menschen und der gesellschaftlichen Zivilisierung (bzw. Dressur) der menschlichen Triebe und Leidenschaften zu einem zentralen Thema der diskursiven Erörterung menschlichen Seins erhoben. Freud selbst war sich dessen bewusst und hob es auch mehrmals hervor. Und doch darf davon ausgegangen werden, dass es besonders gewisse philosophische Entwicklungen im 19. Jahrhundert waren, die bei der Geburt des ihm eigenen Denkens Pate standen. Zum einen war da Kants Philosophie, die Wesentliches zur Klärung wie auch zur Eingrenzung der Möglichkeiten menschlicher Vernunft beigetragen hat. Kant war Aufklärer, und als solcher darf auch Freud eingestuft werden, denn nicht nur nahm er sich vor, über das Irrationale rationale Rechenschaft abzulegen, sondern sein nahezu zum geflügelten Wort geronnenes Diktum „Wo Es war, soll Ich werden“ kann gewiss als ein aufklärungsbeseeltes Postulat gelten. Zwar enthält es ein repressives Element (das Es soll ja zunehmend beherrscht werden), und doch richtet es sich auf das Ich aus, „vertraut“ ihm sozusagen.

Nicht minder darf indes der Vermutung das Wort geredet werden, dass die Philosophie Schopenhauers einen prägenden Einfluss auf die Matrix der Freud’schen Weltsicht ausgeübt hat. Der Willensbegriff Schopenhauers ist zwar metaphysisch gebildet, darf aber – wenn man sich einer gleichgestaltigen Analogie bedient – in seiner Immunität jeglicher rationalen Logik gegenüber wie auch in seiner Ahistorizität mit dem Wirken des Es verglichen werden. Was dem ewig wollenden Willen entgegensteht, ist „die Welt“ (die zugleich von ihm angetrieben wird), wie dem Lustprinzip das Realitätsprinzip bzw. das Über-Ich dem Es entgegenwirkt. Was bei Schopenhauer zu einer kulturpessimistischen Konsequenz führt, findet sich durchaus auch bei Freud, wie nicht zuletzt der Titel seiner bedeutenden Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ bezeugt. In der Tat sieht sich, Freud zufolge, das Bewusstsein mit der kränkenden Erfahrung konfrontiert, „dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“. Davon wusste bereits Nietzsche, dem bis zu seiner Zeit wohl Psychologie-beflissensten aller Philosophen, ein Lied zu singen.

Der Text stammt aus:
Moshe Zuckermann
FREUD UND DAS POLITISCHE
Psychoanalyse, Emanzipation und Israel
ISBN 978-3-85371-411-9,
224 Seiten, 19,90 Euro
E-Book:
ISBN 978-3-85371-838-4,
15,99 Euro
Promedia Verlag

Diese Buchvorstellung erschien zuerst bei unserem Kooperationspartner „die seiten – Zeitschrift des Vereins für kulturelle Information“, Nr. 3/Herbst 2016

Titelbild: Sigmund Freud (Enrico/flickr.com; Lizenz: CC BY 2.0)

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