Das Vergnügen des größtmöglichen Dilettantismus

Auch in Wien hat sich am Freitag eine „Wilde Liga“ gegründet. Für einen Fußball, wo Geschlecht, Alter, Herkunft und derlei Schubladen keinerlei Rolle spielen

Von Noah Krügl

Heute geht’s Um die Wurst. Arminia Bierzelt befindet sich gerade ganz oben im Fahrstuhl und spielt gegen VFB Totalausfall. Ein Flitzer läuft mit Schwimmflügerl an den Armen, einem Bier in der einen und einem Joint in der anderen Hand quer übers Spielfeld und wird dabei von Fans und Spielern gleichermaßen gefeiert. Immerhin ist der Flitzer selbst Spieler von Laufen soll’n die Anderen. Die Spieler nehmen’s dementsprechend gelassen und gönnen sich in der kurzen Unterbrechung einen kleinen Schluck vom im Tor bereitstehenden Hopfengetränk. Bierzelt gewinnt die Partie 2:0. Der Siegtreffer wird vom Stürmer erzielt während er mit einer bengalischen Fackel in der Hand einen Stellungsfehler von Totalausfall eiskalt ausnützt. Der Mittelfeldmotor, heute elegant im Ganzkörperkuhkostüm, reißt seine Vorderhufe zum Jubel hoch – der Aufstieg in die höchste Liga ist fixiert. Arminia Bierzelt wird in der kommenden Saison Um die Wurst spielen.

Was sich wie eine kabaretthafte Inszenierung eines Amateurkicks liest, sind Impressionen des Aufstiegskrimis der Wilden Liga Bielefeld zum Saisonfinale 2014/15. In dieser Saison konnte die Wilde Liga Bielefeld eine Meisterschaft mit drei Ligen veranstalten: Souterrain, Fahrstuhl und Um die Wurst. Momentan ist man wieder zu einer Zweierliga mit jeweils 13 Teams zurückgekehrt. Gespielt wird einmal in der Woche auf von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellten Großfeldplätzen. 11 gegen 11 – auch wenn das nicht immer so ganz genau genommen wird. Immerhin stehen hier nicht Leistung und Tabellenplätze sondern ausschließlich die Freude am Fußballspielen und der Spaß mit Gleichgesinnten zu kicken im Vordergrund. Fußball, wie er ursprünglich war. Calcio popolare, wie es in Italien genannt wird. Kein Verband, kein DFB, keine UEFA und dementsprechend auch nicht deren Regeln. Die Regeln werden in der Wilden Liga eigenständig formuliert. Für die Einhaltung derselben sind die Spieler selbst verantwortlich – Schiri und Wachler braucht hier niemand. So kann eine strittige Strafraumsituation, besonders bei einem Gleichstand kurz vor Abpfiff – Abseits, Hands, Foul, etc. –, schon auch mal zu einer 15-minütigen Diskussion führen. Und auch wenn die Debatten durchaus einmal hitzig werden können, so steht doch für alle Beteiligten eines ganz groß im Vordergrund: Die Würde des Balles ist unantastbar!

Entstanden ist die Wilde Liga Bielefeld 1976 als sich einige Jugendzentren zusammengetan haben, um mit einer selbstorganisierten und basisdemokratischen Fußballliga ein Gegenkonzept zum offiziellen Verbandsfußball zu etablieren. Dieser – so wurde bereits vor 41 Jahren kritisiert – würde durch immer höhere Ablösesummen, korrupte Verbände und autoritären Strukturen den Fußball immer mehr von Fußballbegeisterten entfremden und ihn zu einem kapitalistischen Spektakel degradieren. Die Wilde Liga Bielefeld ist somit nicht nur die älteste Wilde Liga Europas, sie ist auch Aushängeschild für autonome Organisierung im Sportbereich. Wichtigster Grundgedanke dabei war und ist, allen Bolzbegeisterten die Möglichkeit zu geben, in einem Ligasystem zu spielen. Hier spielen Geschlecht, Alter, Herkunft und derlei Schubladen keinerlei Rolle. Es spielen Männer mit Frauen, Heteros mit Homosexuellen, Junge mit Alten, Menschen mit und ohne Aufenthaltstitel, Nüchterne mit Betrunkenen. Und es funktioniert. Es funktioniert sogar so gut, dass das Historische Museum Bielefeld der Wilden Liga eine Ausstellung zum 40jährigen Bestehen widmet und Max Meis gerade einen crowdgefundeten Dokumentarfilm über die Liga produziert.

Vergangenen Freitag fand nun im Amerlinghaus die Gründungsversammlung der Wilden Liga Wien statt. Initiiert wurde die Versammlung von Daniel Harrasser, der gleich bei der Einleitung die weitere Linie signalisierte: „Bevor wir anfangen: Bier steht im Kühlschrank, bedient euch bitte!“ Anwesend waren neben einem Redakteur von FM4 sowie Beate und Ralf aus Bielefeld rund 35 Personen, die zahlreiche bekannte linke Initiativen aus Wien gewissermaßen repräsentierten. So war der Motorradclub Kuhle Wampe ebenso dabei wie die FK Rüdengasse und auch Interessierte vom Wagenplatz fanden sich ein. Die Ballerinas waren ebenso präsent, wie die Trainer von Kicken ohne Grenzen oder die Ultragruppierung Guardia Rossa. Mit Dynamo Donau, Schwarz Weiß Augustin, Arsenal Asozial, Roter Stern Praterstern und vielen weiteren Einzelinteressierten war der Saal also prall gefüllt.

Annähernd drei Stunden wurde gemeinsam diskutiert wie ein solches Projekt auch in Wien umgesetzt werden kann. Was stellen sich die einzelnen Gruppen und Personen vor? Wer kann sich wie einbringen? Wo könnte gespielt werden? Sollen geschossene Tore überhaupt gezählt werden? Wie können ungleiche Kräfteverhältnisse zwischen Teams nivelliert werden und wie könnten Verfehlungen am Feld geahndet werden? Verfehlungen oder Fouls, so ist man sich einig, gehen dabei über das bekannte Haxlstellen hinaus. So soll es auch Verwarnungen bei Verbalgewalt oder diskriminierendem Verhalten anderen Spielern gegenüber geben. Ein Konzept, dass man im professionellen Verbandsfußball vergeblich sucht. So heftet sich die UEFA zwar das Label „Say no to racism!“ an die eigenen Fahnen, ignoriert aber beständig rechte Tendenzen bei Verbänden und Teams und auch empfindliche Strafen für rassistische Beleidigungen von Spielern sucht man meist vergeblich.

Bereits im Einladungstext zur Versammlung konnte man lesen: „Der Grundgedanke der Wilden Liga Wien ist es, Menschen die Möglichkeit zu geben, außerhalb von Vereinen und ohne das strenge Regelwerk des ÖFB Fußball zu spielen. Ihre Philosophie ist geprägt von mehr Mit- als Gegeneinander. (…) Die Wilde Liga soll von Gleichberechtigung, Diversität und gegenseitigem Respekt geprägt sein – ungeachtet von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion oder Herkunft!“

Die Stoßrichtung war also bereits von Beginn an klar. Nun geht es darum, dies in die Realität umzusetzen. Es wurde sich darauf geeinigt, auf einem baldigen weiteren Treffen ein erstes größeres Turnier für alle Interessierten zu planen, um sich dort auch einmal fußballerisch zu begegnen. „Dabei soll großer Wert auf körperliche Unversehrtheit, allgemeines Vergnügen und größtmöglichen Dilettantismus gelegt werden.“ Eine Forderung, der sich alle Interessierten schon jetzt angeschlossen haben, denn: Die Würde des Balles ist unantastbar!

Unsere Zeitung wird die Entwicklung dieses spannenden Konzepts jedenfalls interessiert weiter verfolgen.

Fotos: Logo der Wilden Liga Bielefeld ; Logo und Transparent der Wilden Liga Wien – Vienna Calcio Popolare; Titelbild: Wilde Liga Wien – Vienna Calcio Popolare (fb)

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