Google, Amazon, Facebook & Apple sind ein Fall für das EU-Missbrauchsrecht

Von Susanne Wixforth, Referatsleiterin in der Abteilung Internationale und europäische Gewerkschaftspolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)

Susanne Wixforth, Referatsleiterin in der Abteilung Internationale und europäische Gewerkschaftspolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Foto: awblog.at)

Amazon steht als Sinnbild der vier Plattformgiganten (Google, Amazon, Facebook und Apple, GAFA). Das Unternehmen ist der größte Plattformhändler Europas. Sein Umsatz ist doppelt so hoch wie der seiner 20 größten Konkurrenten. Während der Vorstandsvorsitzende von Amazon 2017 ein Jahreseinkommen von rund 900 Mio. Euro hatte, müssen die Beschäftigten dankbar sein, wenn sie den jeweiligen gesetzlichen Mindestlohn, das sind in der EU zwischen 1,42 € und 11,27 € pro Stunde, also zwischen 3.500 € und 30.000 € im Jahr verdienen. Akkordarbeit, 10-Stunden-Schicht und Tragen von Lasten bis zu 50 Tonnen pro Tag sind Standard. Lohndruck und Ausbeutung sind aber in der Europäischen Union kein Kavaliersdelikt, sondern unfairer Wettbewerb. Gewerkschaften sind gefordert, das EU-Missbrauchsverbot als Waffe im Arbeitskampf für sich zu nutzen.

Amazon erwirtschaftete 2018 einen weltweiten Umsatz in Höhe von rund 210 Mrd. Euro, eine Steigerung um rund 31 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 600.000 ArbeitnehmerInnen. Mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 730 Mrd. Euro ist es eines der weltweit wertvollsten börsennotierten Unternehmen. Der Betriebsgewinn belief sich auf rund 11 Mrd. Euro, dennoch zahlte Amazon in einem Zeitraum von 2003 bis 2014 für 75 Prozent seiner EU-Umsätze aufgrund eines mit den Luxemburger Finanzbehörden vereinbarten Steuervorbescheides keine Steuern.

Auf die Dauer gefährdet diese Geschäftspolitik die Stabilität und Haushalte jener Länder, wo diese Konzerne ihr Geld tatsächlich verdienen, aber keine Steuern zahlen. Sie gefährdet aber auch die Stabilität der Gesellschaft insgesamt. Denn eine Europäische Union ist keine Union, wenn die BürgerInnen (zu Recht) den Eindruck haben, dass die Lasten höchst ungleich verteilt sind.

Das EU-Wettbewerbsrecht bietet einen Ansatz, die Plattformgiganten zu zähmen: Amazon wurde von der EU-Kommission zu einer Steuerrückzahlung von 250 Millionen Euro, Google zu einer Rückzahlung von 13 Milliarden Euro verpflichtet. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen Ausbeutung der Beschäftigten und Beseitigung von Marktkonkurrenten durch unfaire Geschäftspraktiken. Schließlich sind auch die Auswirkungen auf die Umwelt relevant: vom übermäßigen Verpackungsverbrauch bis zur Zerstörung zurückgesendeter, neuwertiger Waren.

Gefährdung des freien Wettbewerbs

Amazon erwirtschaftet den Umsatz im Wesentlichen über vier Wege: als einer der größten Online-Händler, als Betreiber des mit Abstand größten Online-Marktplatzes für DrittanbieterInnen, als einer der größten Anbieter von Webservices und als Lieferant der bestellten Ware.

Der Konzern ist bei einzelnen Handelssortimenten so stark, dass unabhängige HändlerInnen den Amazon-Marktplatz brauchen, um ihre KundInnen zu erreichen. Zahlreiche Händler- und Unternehmensvereinigungen, wie der Handelsverband in Österreich, haben die Wettbewerbsbehörden darauf hingewiesen, dass Amazon verschiedene Möglichkeiten nutzt, durch seine schiere Marktmacht HändlerInnen aus dem Markt zu drängen oder ihnen das Leben schwer zu machen, wie beispielsweise durch

  • unbegründete und plötzliche Sperren von HändlerInnenkonten,
  • die Verpflichtung, Einkaufspreise offenzulegen,
  • unbegründetes „Verschwinden“ von Produktrankings bei HändlerInnen,
  • Einbehalt von Zahlungen und verzögerte Auszahlungen,
  • Verdrängung aus dem Marktplatz durch Platzierung einer Produktkopie unter Eigenmarke sowie mit Preisunterbietung sowie
  • Outsourcing und Leiharbeit, um Streiks zu brechen.

Doch die HändlerInnen wehren sich: Inzwischen sind aufgrund ihrer zahlreichen Beschwerden mehrere Wettbewerbsverfahren gegen Amazon anhängig. Das deutsche Bundeskartellamt hat bereits 2018 ein Missbrauchsverfahren eröffnet. Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde folgte 2019. Die EU-Kommission versandte im September 2018 förmliche Auskunftsersuchen an HändlerInnen, die den „Amazon-Marketplace“ für ihre Onlineverkäufe nutzen.

Wie aber steht es um die Beschäftigten des Konzerns?

Gesundes Unternehmen mit kranken Beschäftigten

Das rasante Wachstum von Amazon erfolgt auf Kosten der ArbeitnehmerInnen und der sozialen Sicherungssysteme in den Niederlassungsstaaten. Die Konzernstrategie beruht auf brutaler Akkordarbeit, die unter Dauerkontrolle und Einsatz modernster Überwachungstechnik geleistet werden muss. Beschäftigte legen in einer 10-Stunden-Schicht 16-20 km zurück und heben zusammengerechnet pro Tag 50 Tonnen Kartons. Es wird erwartet, dass sie 300 Pakete pro Stunde abfertigen, Arbeitspausen sind oft nicht einmal für den WC-Gang möglich. In einem dreijährigen Zeitraum wurden laut Bericht von UNI Global Union allein von einer Amazon-Niederlassung aufgrund von Arbeitsunfällen und Arbeitsüberlastungen 600-mal Rettungswägen gerufen. 87 Prozent der Beschäftigten müssen Dauerschmerzen ertragen, die durch den Arbeitsalltag verursacht werden.

Amazon spielt geschickt auf dem Klavier des gesetzlich Möglichen: MitarbeiterInnen werden nur befristet angestellt und LeiharbeitnehmerInnen als StreikbrecherInnen angeheuert. Schutzmaßnahmen für ArbeitnehmerInnen werden auf ein Minimum reduziert. Durch die Einordnung in günstigere Branchentarifverträge („sector shopping“) wählt der Konzern die niedrigstmöglichen Kollektivvertragslöhne. So gab sich das Unternehmen in Deutschland als Logistikfirma aus, um die höheren Kollektivvertragslöhne des Handelssektors zu umgehen, in Frankreich hingegen firmierte es als kleiner Einzelhandel.

Die deutsche Gewerkschaft ver.di organisierte am 2. Mai dieses Jahres an mehreren deutschen Standorten Streiks, weil das Unternehmen nicht bereit ist, die Tariflöhne für den Handel zu bezahlen. Vorbild dafür ist das italienische Beispiel. Dort gelang es 2018 erstmals, eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und den Gewerkschaftsdachverbänden betreffend Lohn, Schichtarbeit und Arbeitszeiten abzuschließen. UNI Global Union ist es gelungen, durch ein Netzwerk mit 14 Ländern eine Uni Global/Amazon-Alliance zu gründen. Die „Anti-Beschäftigten-Zitadelle“ beginnt zu wanken.

EU-Wettbewerbsrecht: ein Gewerkschaftsinstrument

Seit dem Gründungsvertrag von Rom ist die Wettbewerbspolitik ein Eckpfeiler der Europäischen Union. Das EU-Wettbewerbsrecht ist mit empfindlichen Sanktionen bewehrt, um unfairen Wettbewerb nicht nur zwischen Unternehmen, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten zu unterbinden. Der Gedanke dahinter: Ein europäischer Binnenmarkt kann nur dann funktionieren, wenn sich beide – Unternehmen und Staaten – an die Regeln halten, vom Steuerrecht über ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen bis zu Umwelt- und KonsumentInnenschutz.

Je größer die Marktmacht eines Unternehmens im Wirtschaftsalltag ist, desto einfacher ist es, die eigenen (unfairen) Bedingungen gegenüber Geschäftspartnern durchzusetzen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU sieht deshalb das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung vor (Art. 102 AEUV). Es liegt nahe, dass Amazon aufgrund seiner Dreifachfunktion – Marktplatz, Verkäufer und Zustellunternehmen – marktbeherrschend ist. Die Marktpositionen auf den unterschiedlichen Märkten verstärken sich gegenseitig (Verbundeffekte zwischen Such-, E-Mail- und Video- und Einkaufsangeboten). Amazon dominiert mit rund 50 Prozent Marktanteil den Online-Handel (Eigenhandel und „Marketplace“). Durch Netzwerkeffekte und Größenvorteile erreicht das Unternehmen einen immer größeren Marktanteil und wird uneinholbar. Der Rest der Branche kann nicht mehr folgen und scheidet aus dem Wettbewerb aus – typische Charakteristika für einen „Winner takes it all“-Effekt. Eine Entwicklung, die sowohl für die übrigen Marktteilnehmer als auch für die Beschäftigten fatal ist. Durch die monopolistische Marktposition ist es Amazon ein Leichtes, Streiks zur Durchsetzung von „living wages“ (existenzsichernden Löhnen) mittels Leiharbeit oder direkten Outsourcings in andere Mitgliedstaaten mit niedrigeren Mindestlöhnen zu brechen.

Unfairer Druck auf die Beschäftigten ist kein Kavaliersdelikt

Gewerkschaften sind daher aufgerufen, Wettbewerbsverfahren für sich zu nutzen, die sich mit Marktbeherrschung und Missbrauch befassen. Die EU-Kommission ist gerade dabei, eine Marktbefragung durchzuführen, um allfällige missbräuchliche Praktiken des Unternehmens festzustellen. Wenn es ausreichende Anhaltspunkte gibt, eröffnet sie ein Verfahren, wobei interessierte Dritte eine Stellungnahme abgeben können.

Die Anliegen der Beschäftigten, wie die Einhaltung der ArbeitnehmerInnen-Schutzvorschriften, die Anwendung des richtigen Kollektivvertrages, die Einhaltung von Ruhezeiten etc., haben einen wettbewerbsrechtlichen Aspekt. Die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils, indem durch die schiere Marktmacht unangemessene Bedingungen von den anderen Marktbeteiligten (inklusive den Beschäftigten und VerbraucherInnen) erzwungen werden, ist nach Art. 102 AEUV wettbewerbswidrig und verboten. In einem solchen Fall drohen Strafen bis zu einem Prozent des weltweiten Umsatzes. Außerdem kann die EU-Kommission dem Marktbeherrscher strukturelle Abhilfemaßnahmen vorschreiben. Dazu gehört unter anderem auch die Entflechtung bzw. der Auftrag, sich von bestimmten Unternehmensteilen zu trennen.

Reform des EU-Wettbewerbsrechts

Elektronische Plattformen haben dieselben Eigenschaften wie die klassischen physischen Infrastrukturen Post, Schiene, Telekom und Energie. Während diese Bereiche sowohl in den USA als auch in der EU seit Jahrzehnten einer strengen Regulierung unterworfen sind, fehlt eine solche im neuen Sektor der als „BAADD“ (big, anti-competitive, addictive and destructive to democracy) bezeichneten GAFA-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook und Apple). Aus gewerkschaftlicher Sicht ist eine Entflechtung und Regulierung vor allem deshalb dringend erforderlich, weil sich die Kluft zwischen diesen Elite-Firmen und dem Rest immer weiter vergrößert. Grundsätzlich gilt für alle Sektoren, insbesondere aber für Elite-Firmen: Je höher die Unternehmenskonzentration, desto mehr nimmt die Lohnquote – also der Anteil der Löhne an der Wertschöpfung der Unternehmen – ab. In Deutschland und Frankreich ging sie um rund 6,5 Prozent zurück, in Italien und Spanien um 14 Prozent. Ihr Gegenstück, die Gewinnquote, nahm im ungefähr gleichen Ausmaß zu. Das Geschäftsmodell der GAFAs sieht eine Weitergabe der Produktivitätsfortschritte an die Beschäftigten nicht vor.

Wohlstand für alle benötigt einen Wettbewerb für alle. Wettbewerbsrecht allein greift zu kurz: Es beginnt erst dort anzusetzen, wo bereits oligopolistische Marktstrukturen erreicht sind. Um zu verhindern, dass die ungezähmte Superstar-Ökonomie fast ausschließlich VerliererInnen (Beschäftigte, wie auch Konkurrenzunternehmen) produziert, muss die Plattformökonomie im Zeitalter der digitalen „Winner takes it all“-Märkte einer gesetzlichen Regulierung unterworfen werden.

 

Dieser Beitrag wurde am 19.07.2019 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Die Originalfassung erschien in Wirtschaftspolitik-Standpunkte 2019 Heft 34.

Titelbild: „34c3 – Know your Datenkraken“ von Thorsten Schröder (flickr.com; Lizenz: CC BY 2.0)

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