Ein anspruchsvolles Kinderbuch über das Altern und darüber, wie es ist, wenn Oma immer öfter die Wörter davonfliegen. – Sonntag ist Büchertag
Rezension von Hannah Wahl
Pia und Oma haben ein ganz besonderes Verhältnis. Die zwei verbringen viel Zeit miteinander und Oma bringt Klein-Pia viele neue Wörter bei: „Die Wörter fliegen! Von Oma zu Pia.“ Pia wächst und wächst und mit ihr auch ihr „Wörterschatz“. Für viele Kinder wohl unvorstellbar, doch auch Oma kann noch älter werden. Pias Oma ist inzwischen schon 80 Jahre alt, und immer öfter vertauscht oder vergisst sie.
„Wo ist eigentlich Opa?, fragt Oma./ Er ist schon so lange weg./ Sollte er nicht längst zurück sein?/ Oma, sagt Pia. Opa ist tot./ Ach so, sagt Oma. Kein Wunder,/ dass er nicht heimfindet.“
Immer öfter fliegen Oma die Wörter weg, manche jedoch bleiben: „Es geht mir gut.“ Und „Ich hab dich lieb!“ Auch Oma beginnt zu merken, dass ihr immer öfter etwas entgleitet.
„Ich glaube die Wörter fliegen mir davon./ Mach lieber das Fenster zu!“ Doch die mittlerweile erwachsene Pia steht Oma zur Seite und beruhigt sie: „Deine Wörter/ sind alle zu mir geflogen!“
Es sind wahrlich schwierige Themen, die Autorin Jutta Treiber ihrem jungen Publikum zumutet: Tod, Altern, Demenz – wie kann man das kindgerecht aufbereiten? Das Buch kommt mit wenigen Worten aus und erzählt doch so viel. Die Reduktion auf wenige, besonders aussagekräftige Wörter, der lyrische Schriftsatz und die feine, abstrakte Bebilderung machen eine sensible Auseinandersetzung mit der Thematik möglich. Die Geschichte löst Melancholie aus, bringt einen aber auch zum Lächeln.
Die Enttabuisierung von Themen wie Alter, Demenz und Tod ermöglichen Kindern überhaupt erst damit umgehen zu können. Und das ist wichtig, denn früher oder später werden viele von ihnen in der eigenen Familie damit konfrontiert werden.
Nun aber zum Wichtigsten: Wie kam das Buch bei den Kindern im Kindergarten an?
Die bildnerische Aufmachung gefällt besonders gut und es ist erstaunlich wie viel den Kindern ins Auge springt: Die lustige Katze, „die am Rücken liegt und alle vier Haxn in die Luft streckt“, die kleine schielende Pia mit einem Insekt auf der Nase, ein „mörrisches Pferd“, eine „Taucherbrille mit einem Mensch oben“ oder einen „geistlichen Opa“. In den liebevoll und weich gestalteten Bildern gibt es viel zu entdecken. Sie regen die Kinder zu so manchen interessanten neuen Wortkreationen an. Die Wortneuschöpfungen der Oma hingegen irritieren: Da ist zum Beispiel der „Blauwasserteich“, der nach etwas Grübeln dann als Swimmingpool identifiziert wird. Warum im Buch aber irgendwelche Wörter fliegen, bleibt den Kinder zunächst unklar: „Kenn i gar ned“ wird dabei vermerkt. Trotzdem wird die Tatsache so hingenommen: „Vielleicht sind die Wörter einfach verzaubert.“ Nachdem wir das Buch zugeklappt haben, schauen die Kinder in die Runde, wissen nicht so genau, wie sie reagieren möchten. Ein bisschen suspekt scheint ihnen die Geschichte schon. Nach kurzem Überlegen hat ihnen das Buch dann aber doch „gut gefallen“, und sie wollen es in ihre Bücherecke aufnehmen.
Fazit: Dem Buch gelingt es auf elegante und kindgerechte Art ein schwieriges Thema aufzubereiten. Dennoch keine leichte Kost und so ist eine kurze Annäherung an die Thematik vor dem Lesen ratsam. Ganz ohne Erklärungen kommt man nicht aus, denn sonst bleibt auch die Pointe am Schluss den Kindern verborgen. Außerdem sind die Omas der Kinder im Kindergarten alle viel zu „jung“ um „alt“ zu sein, die Beobachtungen, dass Großeltern wirklich älter werden oder auch vergesslicher, haben sie noch nicht gemacht. Um Kindern, die diese Entwicklungen vielleicht auch bei den Urgroßeltern bereits mitbekommen haben, eine Form der Auseinandersetzung zu bieten, ist die Geschichte von Pia und ihrer Oma wie geschaffen. Jutta Treiber und Nanna Prieler haben ein liebevoll gestaltetes Bilderbuch kreiert, das mit etwas erwachsener Unterstützung eine ästhetische, soziale und literarische Bereicherung darstellt.
Jutta Treiber; Illustration: Nanna Prieler
„Die Wörter fliegen“
Nilpferd, 2015
ISBN 978-3-7017-2146-7
Preis: 14,90 Euro
Fotos: Hannah Wahl
Sonntag ist Büchertag
Bisher:
- „Kinder der Tage“ (Eduardo Galeano)
- „Familie Salzmann“ (Erich Hackl)
- „Deutsche Demokratische Rechnung. Eine Liebeserzählung“ (Dietmar Dath)
- Über Kurt Tucholsky
- „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ (Richard David Precht)
- „Der Aufstand des Gewissens“ (Jean Ziegler)
- „Superhenne Hanna“ (Felix Mitterer)
- „Die Diktatur des Kapitals“ (Hannes Hofbauer)
- „Die schützende Hand“ (Wolfgang Schorlau)
- „Hitler war kein Betriebsunfall“ (Emil Carlebach)
- „Heldenplatz“ (Thomas Bernhard)
- „Zwölfeläuten“ (Heinz R. Unger)
- „MARX“ – Graphic Novel (Corinne Maier, Anne Simon)
- „Gefährliche Bürger“ (Christoph Giesa und Liane Bednarz)
- „Ändere die Welt. Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen“ (Jean Ziegler)
- „Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee“ (Dietmar Dath & Barbara Kirchner)
- Die Viertel der Reichen (Louis Aragon)
- „Wie Italien an die Räuber fiel“ (Gerhard Feldbauer)
- „berlin. bleierne stadt“ (Jason Lutes)
- „Das war Österreich“ (Robert Menasse)
- „Narr“ von Schilddorfer & Weiss
- „Fußball. Eine Kulturgeschichte“ (Klaus Zeyringer)
- „Reisen in das Land der Kriege“ (Kurt Köpruner)
- „The magic Pen – Der Zauberstift“ (Kathrin Steinbacher)
- „Rückkehr nach Reims“ (Didier Eribon)
- ISLAMISCHER STAAT & Co. (Werner Ruf)
- „Die Welt von gestern – Erinnerungen eines Europäers (Stefan Zweig)
- Freud und das Politische (Moshe Zuckermann)
- „LONDON. Unterwegs in einer umkämpften Metropole“ (Peter Stäuber)
- „Der Tote im Bunker“ (Martin Polack)
- „Antonia war schon mal da“ (Patrick Wirbeleit)
- „Hinter den Barrikaden – Eine Reise durch Nordkurdistan im Krieg“ (Lower Class Magazine)
- „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“ (Peter Nowak)
- „Die Wut wächst“ (Oskar Lafontaine)
- „Postkapitalismus“ (Paul Mason)
- Proleten, Pöbel, Parasiten (Christian Baron)
- „Jenseits von 1984″ (Sandro Gaycken)
- „Erinnerungen aus dem Widerstand“ (Margarete Schütte-Lihotzky)
- CETA – Lesen und verstehen. (Analyse des EU-Kanada-Freihandelsabkommens)
- Die globale Überwachung (Glenn Greenwald)
Sehr interessant! Das Thema ist wirklich sehr spannend.
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