Die Ausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet“ thematisiert die systematische Verfolgung und Ermordung von kranken Menschen und Menschen mit Behinderungen während der NS-Zeit. Bis zum 21. April kann sie im Salzburger Unipark in Nonntal kostenlos besucht werden.
Sonntag ist (Ausstellungs-) und Büchertag von Hannah Wahl
Im Nationalsozialismus galten sie als „lebensunwert“, als Belastung für die „deutsche Volksgemeinschaft“. Rund 400.000 Menschen wurden im Zuge der „Rassenhygiene“ seit 1934 zwangssterilisiert, über 200.000 Menschen ermordet. Die Täter waren Psychiater, Fachärzte, Pflegekräfte und Verwaltungsangestellte – die NS-Euthanasie war keineswegs ein Geheimprojekt. In den Akten finden sich beliebte „Diagnosen“ wie Schizophrenie oder „Schwachsinn“. Schwierige Familienverhältnisse oder „Unruhe“ reichten aus, um in eine Anstalt eingewiesen zu werden.
Frank Schneider verwies in seiner Rede anlässlich der Eröffnung am vergangen Freitag darauf, dass die Täter bewusst nicht in Arbeitskleidung, die Opfer bewusst nicht in Anstaltskleidung gezeigt werden. So wird deutlich: Es waren Verbrechen an der Menschheit. Verübt von Menschen.
Schneider ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die die Ausstellung in Kooperation mit den Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors erstellte. Bevor die Ausstellung nach Salzburg kam, ist sie weit gereist: 2014 im Deutschen Bundestag erstmals gezeigt, konnte sie z.B. auch in Südafrika, Kanada oder Japan besucht werden.
Sonntag ist Büchertag:
Der Ausstellungskatalog zeigt die historischen Quellen und ihre Aufbereitung auf 224 Seiten
Der Ausstellungskatalog zeigt das fünfteilige Konzept der Ausstellung: Das erste Kapitel „Fotoalbum“ gibt Opfern und Tätern dieses dunklen historischen Kapitel Namen und Gesichter. Das zweite Kapitel „Die Frage nach dem Wert des Lebens“ zeigt unter anderem Quellen wie Propagandamaterial über die angeblich höhere Fortpflanzungsrate von „Minderwertigen“ oder eine deutsche Ausstellung über „Rassenhygiene“ und Zwangssterilisationen. Diese wurde 1934 in den USA „von der internationalen Fachwelt interessiert wahrgenommen.“ Das dritte Kapitel „rassenhygienische Politik“ fokussiert das Bestreben, die deutsche Gesellschaft erbbiologisch zu erfassen. Die Stammbäume vieler Insassen der Pflegeanstalten wurden erstellt und dienten als Bewertungsgrundlage für Zwangssterilisationen. Das vierte Kapitel „Mord“ stellt die systematische Vernichtung von Insassen der Einrichtungen ins Zentrum. Gezeigt wird dies an persönlichen Lebensgeschichten von Opfern. Zudem werden Quellen wie massenhaft angefertigte Benachrichtigungsschreiben an die Angehörigen, mit willkürlichen Angaben über Todeszeitpunkt, Ort und Ursache, sichtbar gemacht. Auch die divergierenden Reaktionen der Angehörigen über den Tod der Patienten wurden aufbereitet: Sie reichten von Empörung bis zu Erleichterung. Die Ausstellung endet mit einem finalen fünften Kapitel: „Nach 1945: Verdrängen und Erinnern“. Es thematisiert die lange Zeit fehlende historische Aufarbeitung, die fehlende Unterstützung für diese Opfergruppe und bietet einen Einblick in die Prozesse der Nachkriegszeit.
Für Salzburg ergänzte der vor kurzem verstorbene Halleiner Vizebürgermeister Walter Reschreiter einen regionalen Teil, welcher jedoch nicht im Katalog enthalten ist.
Moritz Mühlbacher, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychiatrie, entschuldigte sich bei der Eröffnung in Namen des Faches der Psychiatrie für das „viel zu lange Schweigen und Leugnen in der Zeit danach“ und verlas die Präambel der Gesellschaft: „Die ÖGPP ist sich ihrer besonderen Verantwortung um die Würde und die Rechte von psychisch erkrankten Personen und ihren Angehörigen bewusst. Diese Verpflichtung resultiert nicht zuletzt aus der historischen Verstrickung der Psychiatrie in Misshandlungen, Zwangssterilisierungen und Krankenmorde währen der Zeit des NS und aus der mangelhaften Aufarbeitung dieser Geschehnisse in den Jahrzehnten nach 1945. Die ÖGPP wird in Zukunft alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, dass sich dergleichen nicht wiederholt.“
Lange Zeit wurden diese Opfer in der NS-Aufarbeitung ignoriert. Diese Ausstellung gibt ihnen ein Gesicht und zeigt, dass es viel mehr über sie zu sagen gibt, als dass sie von Menschen ermordet wurden, die glaubten urteilten zu können, ob ihr Leben einen „Wert“ hat, oder nicht.
Weitere Termine in Österreich:
27.04.17 – 29.04.17 GMUNDEN
08.05.17 – 24.05.17 KÄRNTEN
Weiterführende Links:
- Ausstellungs-Katalog in Leichter Sprache (pdf)
- Videos zur Ausstellung in Gebärdensprache
- Apps zur Ausstellung in Leichter Sprache und Gebärdensprache
Audiotext zur Ausstellung für blinde Menschen (Quelle: dgppn.de):
Fotos: Hannah Wahl
Sonntag ist Büchertag
Bisher:
- „Kinder der Tage“ (Eduardo Galeano)
- „Familie Salzmann“ (Erich Hackl)
- „Deutsche Demokratische Rechnung. Eine Liebeserzählung“ (Dietmar Dath)
- Über Kurt Tucholsky
- „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ (Richard David Precht)
- „Der Aufstand des Gewissens“ (Jean Ziegler)
- „Superhenne Hanna“ (Felix Mitterer)
- „Die Diktatur des Kapitals“ (Hannes Hofbauer)
- „Die schützende Hand“ (Wolfgang Schorlau)
- „Hitler war kein Betriebsunfall“ (Emil Carlebach)
- „Heldenplatz“ (Thomas Bernhard)
- „Zwölfeläuten“ (Heinz R. Unger)
- „MARX“ – Graphic Novel (Corinne Maier, Anne Simon)
- „Gefährliche Bürger“ (Christoph Giesa und Liane Bednarz)
- „Ändere die Welt. Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen“ (Jean Ziegler)
- „Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee“ (Dietmar Dath & Barbara Kirchner)
- Die Viertel der Reichen (Louis Aragon)
- „Wie Italien an die Räuber fiel“ (Gerhard Feldbauer)
- „berlin. bleierne stadt“ (Jason Lutes)
- „Das war Österreich“ (Robert Menasse)
- „Narr“ von Schilddorfer & Weiss
- „Fußball. Eine Kulturgeschichte“ (Klaus Zeyringer)
- „Reisen in das Land der Kriege“ (Kurt Köpruner)
- „The magic Pen – Der Zauberstift“ (Kathrin Steinbacher)
- „Rückkehr nach Reims“ (Didier Eribon)
- ISLAMISCHER STAAT & Co. (Werner Ruf)
- „Die Welt von gestern – Erinnerungen eines Europäers (Stefan Zweig)
- Freud und das Politische (Moshe Zuckermann)
- „LONDON. Unterwegs in einer umkämpften Metropole“ (Peter Stäuber)
- „Der Tote im Bunker“ (Martin Polack)
- „Antonia war schon mal da“ (Patrick Wirbeleit)
- „Hinter den Barrikaden – Eine Reise durch Nordkurdistan im Krieg“ (Lower Class Magazine)
- „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“ (Peter Nowak)
- „Die Wut wächst“ (Oskar Lafontaine)
- „Postkapitalismus“ (Paul Mason)
- Proleten, Pöbel, Parasiten (Christian Baron)
- „Jenseits von 1984″ (Sandro Gaycken)
- „Erinnerungen aus dem Widerstand“ (Margarete Schütte-Lihotzky)
- CETA – Lesen und verstehen. (Analyse des EU-Kanada-Freihandelsabkommens)
- Die globale Überwachung (Glenn Greenwald)
- „Die Wörter fliegen“ (Jutta Treiber)