Zum 120. Geburtstag der kommunistischen Widerstandskämpferin und Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (* 23. Jänner 1897, †18. Jänner 2000) – Sonntag ist Büchertag (von Hannah Wahl)
Vor 17 Jahren verstarb Margarete Schütte-Lihotzky kurz vor ihrem 103. Geburtstag in Wien. Ihr langes und ereignisreiches Leben war geprägt durch ihren beruflichen und politischen Auftrag als Architektin, zahlreiche Reisen, und dem Kampf gegen den Nationalsozialismus. Doch auch nach der NS-Zeit hatte sie zu kämpfen: Gegen den tief im Nachkriegsösterreich verwurzelnden Antikommunismus.
Margarete Schütte-Lihotzky wurde am 23. Jänner 1897 in Wien geboren und wuchs in einer liberal gesinnten Beamtenfamilie auf. Als erste Frau schloss sie in Österreich mit nur 21 Jahren ihr Architekturstudium ab. An der k.k Kunstgewerbeschule, der heutigen Universität für Angewandte Kunst, in Wien studierte sie unter dem österreichischen Architekten und Vorreiter der sozialen Architektur, Oskar Strand und erhielt schon während ihrer Studienzeit Preise für ihre Entwürfe. 1917 gewann sie einen Architekturwettbewerb für Wohnungen von ArbeiterInnen, deren Lebensumstände ihr besonders am Herzen lagen. Was sie von ihren Kollegen unterschied: Sie suchte den direkten Kontakt zu Arbeiterfamilien. Ihr Engagement führte sie später in die Siedlerbewegung, die mit staatlichen Subventionen Wohnsiedlungen für Arbeiterfamilien errichtete.
Ebenso engagierte sie sich im Projekt „Neues Frankfurt“, einem Wohnbauprojekt, das von dem deutschen Architekten Ernst May initiiert wurde. Während dieser Zeit erarbeitete sie ihr wahrscheinlich berühmteste architektonisches Konzept, die sogenannte „Frankfurter Küche“. Entgegen mancher Kritiker sollte das Konzept, nicht die Frau an den Herd drängen, sondern garantieren, dass möglichst wenig Zeit in der Küche verbracht werden muss. Besonders für die zunehmende Zahl von berufstätigen Frauen stellte das nach einem industriellen Arbeitsplatz angelehnte Küchen-Konzept eine Erleichterung dar. Die leistbare, kompakte und funktionale Küche gilt als Vorläufer unserer modernen Einbauküchen.
In Frankfurt lernte sie den Architekten Wilhelm Schütte kennen, den sie 1927 heiratete.
1930 ging sie zusammen mit Ernst May, ihrem Mann und weiteren Architekten in die Sowjetunion, wo sie sich am sozialistischen Aufbau beteiligte. Gemeinsam mit einer Architektengruppe arbeitete sie an der Arbeiter-Wohnstädte der sowjetischen Großindustrie, wobei sie ihren Schwerpunkt auf den Bau von Kindereinrichtungen legte. Sie verlegte ihren Lebensmittelpunkt und unternahm Geschäftsreisen nach China und Japan.
Bei einem Aufenthalt in Istanbul lernte sie den österreichischen Architekten und Widerstandskämpfer Herbert Eicholzer kennen. Sie trat der illegalen KPÖ bei und kehrte mit Eichholzer 1940 nach Wien zurück, um sich aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu beteiligen. Nur wenige Wochen nach ihrer Einreise, wurde sie von der Gestapo verhaftet und vor dem Landesgericht gemeinsam mit weiteren Widerstandskämpfern angeklagt. Eichholzer wurde wegen Hochverrates am 7. Jänner 1943 geköpft. Ihrem Mann, Wilhelm Schütte, gelang es durch die Fälschung von Papieren seine Frau vor ihrem Todesurteil bewahren. Sie wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und blieb bis zur Befreiung am 29. April 1945 im Frauenzuchthaus Aichach in Bayern inhaftiert.
Im Nachkriegsösterreich bekam sie als überzeugte Kommunistin kaum noch Aufträge, und so begann sie unter anderem als Beraterin für Kuba, die DDR und China zu arbeiten. Für die KPÖ entwarf sie das Verlagsgebäude des „Globus-Verlags“ im 20. Bezirk, wo bis 1990 die Tageszeitung „Volksstimme“ gedruckt wurde. Im Jahr 1951 trennte sie sich von ihrem Ehemann Wilhelm Schütte.
Ihre Leistungen wurden erst sehr spät anerkannt. Sie erhielt Ehrendoktorate, den Staatspreis für Wissenschaft und Kunst, sowie zahlreiche andere Auszeichnungen. Den Erhalt des Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst lehnte Schütte-Lihotzky 1988 ab. Zu dieser Zeit hatte Kurt Waldheim das Amt des Bundespräsidenten inne, von dem sie sich aufgrund seiner NS-Vergangenheit nicht ehren ließ. 1992 nahm sie die Anerkennung, verliehen durch Thomas Klestil, an.
Magarete Schütte-Lihotzky starb am 18. Jänner 2000 in Wien und wurde am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.
„Oft fragten mich nach 1945 verschiedenste Leute, auch solche, die keineswegs Nazis waren, warum ich denn aus dem sicheren Ausland nach Wien gefahren bin. Immer wieder empört mich diese Frage, immer wieder bin ich entsetzt über die mir zu fremde Welt, in der diese Frage überhaupt eine Frage ist. Von der Erkenntnis, daß man sich in so harten Zeiten nicht einem angenehm, risikolosen Leben hingeben darf, sondern im Widerstand gegen die Nazis auch etwas zu leisten hat, bis zur Meldung bei Herbert, daß ich bereit war, nach Österreich zu fahren, war es nur ein kleiner Schritt. Dieser Schritt war nichts anderes als die notwendige Konsequenz jener Erkenntnis, die in mir herangereift war, als ich mir schon Jahre zuvor in Moskau die Frage gestellt hatte: Was haben wir zu tun, damit wir nach dem Sturz Hitler mit guten Gewissen wieder in der Heimat leben können? Was haben wir zu tun, um zum Sturz Hitlers beizutragen?“
Ein Teil ihrer Lebensgeschichte, ihre Erlebnisse von 1938 bis 1945, sowie die Vorgeschichte sind in ihrem autobiographischen Werk „Erinnerungen aus dem Widerstand“ zu lesen. Das Buch schrieb Schütte-Lihotzky als 90-jährige und hinterließ damit ein Buch, das sich an die jungen Nachgeborenen an Historiker und an Schriftsteller und Filmschaffende richtet, um ihnen einen Einblick in die Welt vor ihrer Geburt zu geben.
Wir empfehlen euch dieses Werk über das Leben einer mutigen Frau und Widerstandskämpfern, einer rastlosen Architektin und Zeit ihres Lebens überzeugten Kommunistin.
Schütte-Lihotzky, Magarete:
Erinnerungen aus dem Widerstand.
Das kämpferische Leben einer Architektin von 1938 bis 1945,
Promedia Verlag, 2014.
Foto: Frankfurter Küche (Visual Resources Department, Minneapolis Institute of Art; public domain); Buchcover/Titelbild: Promedia Verlag
Sonntag ist Büchertag
Bisher:
- „Kinder der Tage“ (Eduardo Galeano)
- „Familie Salzmann“ (Erich Hackl)
- „Deutsche Demokratische Rechnung. Eine Liebeserzählung“ (Dietmar Dath)
- Über Kurt Tucholsky
- „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ (Richard David Precht)
- „Der Aufstand des Gewissens“ (Jean Ziegler)
- „Superhenne Hanna“ (Felix Mitterer)
- „Die Diktatur des Kapitals“ (Hannes Hofbauer)
- „Die schützende Hand“ (Wolfgang Schorlau)
- „Hitler war kein Betriebsunfall“ (Emil Carlebach)
- „Heldenplatz“ (Thomas Bernhard)
- „Zwölfeläuten“ (Heinz R. Unger)
- „MARX“ – Graphic Novel (Corinne Maier, Anne Simon)
- „Gefährliche Bürger“ (Christoph Giesa und Liane Bednarz)
- „Ändere die Welt. Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen“ (Jean Ziegler)
- „Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee“ (Dietmar Dath & Barbara Kirchner)
- Die Viertel der Reichen (Louis Aragon)
- „Wie Italien an die Räuber fiel“ (Gerhard Feldbauer)
- „berlin. bleierne stadt“ (Jason Lutes)
- „Das war Österreich“ (Robert Menasse)
- „Narr“ von Schilddorfer & Weiss
- „Fußball. Eine Kulturgeschichte“ (Klaus Zeyringer)
- „Reisen in das Land der Kriege“ (Kurt Köpruner)
- „The magic Pen – Der Zauberstift“ (Kathrin Steinbacher)
- „Rückkehr nach Reims“ (Didier Eribon)
- ISLAMISCHER STAAT & Co. (Werner Ruf)
- „Die Welt von gestern – Erinnerungen eines Europäers (Stefan Zweig)
- Freud und das Politische (Moshe Zuckermann)
- „LONDON. Unterwegs in einer umkämpften Metropole“ (Peter Stäuber)
- „Der Tote im Bunker“ (Martin Polack)
- „Antonia war schon mal da“ (Patrick Wirbeleit)
- „Hinter den Barrikaden – Eine Reise durch Nordkurdistan im Krieg“ (Lower Class Magazine)
- „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“ (Peter Nowak)
- „Die Wut wächst“ (Oskar Lafontaine)
- „Postkapitalismus“ (Paul Mason)
- Proleten, Pöbel, Parasiten (Christian Baron)
- „Jenseits von 1984″ (Sandro Gaycken)